Frankfurt – Anleihen-Käufe, Billiggeld-Schwemme, Nullzins – Bundesbank-Präsident Jens Weidmann musste als Mitglied des obersten Entscheidungsgremiums der Europäischen Zentralbank (EZB) so manche Kröte schlucken. Fünf Jahre nach seinem Amtsantritt (2. Mai) wird der Ruf nach einem Deutschen an der EZB-Spitze als Nachfolger von Mario Draghi lauter.

Die Hoffnung der Fürsprecher Weidmanns: endlich wieder steigende Zinsen und ein Ende des Anlage-Notstands für Kleinsparer.

"Wenn Draghis Amtszeit 2019 ausläuft, sollte der nächste EZB-Chef aus Deutschland sein", forderte Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) jüngst öffentlichkeitswirksam in der "Bild am Sonntag". "Denn die EZB braucht einen Richtungswechsel: mehr deutsche Handschrift." Die Kultur des Sparens werde "in Europa fundamental entwertet", so Söder. "Die deutschen Sparer werden schleichend enteignet und bezahlen damit indirekt die Rettung südeuropäischer Staaten und Banken."

Tabubrüche der EZB

Die wiederholten Tabubrüche der EZB in der Euro-Schuldenkrise ließen schon in den vergangenen Jahren immer wieder Forderungen nach mehr Gewicht für Deutschland im EZB-Rat laut werden. Europas größte Volkswirtschaft trage zwar gut ein Viertel der Last, Weidmann habe aber im obersten Entscheidungsgremium ebenso nur eine Stimme wie die Notenbankchefs kleinerer Eurostaaten wie Zypern oder Malta. "Wir brauchen Regeln wie beim Internationalen Währungsfonds, wo Stimmrecht und Haftungsanteile zusammenfallen", sagte etwa der damalige Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn.

Weidmann selbst ging mehrfach öffentlich auf Konfrontationskurs zu Draghi, warnte immer wieder vor Nebenwirkungen des billigen Geldes: Notenbank-Finanzierung könne "süchtig machen (...) wie eine Droge", und die EZB dürfe sich nicht zum Erfüllungsgehilfen der Politik machen – Weidmann, der "Anti-Draghi".

Rücktrittsgerüchte

Im Sommer 2012, auf dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise, schien der Mahner im EZB-Rat isoliert. Der Italiener Draghi outete den Deutschen als einzigen Gegner seiner Pläne in dem Gremium, weitere Milliarden für Bonds von Krisenstaaten wie Spanien und Italien in die Hand zu nehmen. Gerüchte über angebliche Rücktrittsabsichten Weidmanns machten die Runde. Doch er blieb im Amt – und seiner Haltung treu. "Ich kann meiner Aufgabe am besten gerecht werden, wenn ich im Amt bleibe", betonte Deutschlands oberster Währungshüter seinerzeit.

Weidmann, der am Mittwoch seinen 48. Geburtstag feierte, wirkt nicht sofort wie ein Kämpfer: blonder Seitenscheitel, Brille, ruhiger Ton. Doch der Schein trügt. Wenn der gebürtige Solinger einmal von einer Sache überzeugt ist, bleibt er hart – auch gegen Mehrheiten.

Unabhängige Notenbank

Die jüngsten Versuche deutscher Politiker, Draghi unter Druck zu setzen, gingen Weidmann denn auch zu weit. "Es ist nicht ungewöhnlich für Politiker, eine Meinung in Fragen der Geldpolitik zu haben, aber wir sind unabhängig", sagte der einstige Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) der "Financial Times". Wenige Tage später betonte Weidmann bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington Seite an Seite mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Unabhängigkeit der Notenbank – ein "hohes Gut", Deutschland habe zurecht dafür gekämpft.

Schon zu seinem Amtsantritt am 2. Mai 2011 hatte Weidmann versprochen, er werde sich "mit allem Nachdruck" für die Unabhängigkeit der Geldpolitik einsetzen. Die jüngsten Angriffe lassen die Notenbanker zusammenrücken. Dass sich ausgerechnet der sonst so kritische Bundesbank-Präsident öffentlich für Draghi und dessen gerade in Deutschland umstrittenen Anti-Krisen-Kurs einsetzt, dürfte die EZB-Spitze mit Wohlwollen zur Kenntnis nehmen.

Schließlich waren Differenzen zwischen der deutschen Notenbank und ihrem europäischen Pendant schon einmal eskaliert: Weidmanns Vorgänger Axel Weber hatte im Frühjahr 2011 hingeschmissen, weil ihm der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB nicht passte. Damit platzten auch die Hoffnungen, der währungspolitische Hardliner könnte als erster Deutscher auf dem Chefsessel der EZB Platz nehmen. Stattdessen übernahm im November 2011 Mario Draghi. (APA, 21.4.2016)