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Um zu verhindern, dass es vollständig verschwindet, wird das Jiddische heute wieder verstärkt an jüdischen Schulen unterrichtet. Der Ursprung dieser Sprache könnte am Rand der Seidenstraße im Nordosten der heutigen Türkei liegen.

Foto: AP / M. Spencer Green

Sheffield/Wien – 1946 erzählte der polnisch-amerikanische Schriftsteller Israel Joschua Singer in seinen Memoiren "fun a welt woß is nischto mer", von einer Welt also, die nicht mehr ist. Er tat dies in seiner Muttersprache, dem Jiddischen, und leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Konservierung dieser komplexen, schillernden Sprache. Nach heutigen Schätzungen nutzten vor dem Zweiten Weltkrieg über zehn Millionen Menschen das Jiddische im Alltag. Übrig geblieben sind davon allenfalls einige Hunderttausend.

Ihre deutschen, slawischen und hebräischen Wurzeln reichen mehr als tausend Jahre zurück, die zahlreichen sprachlichen Einsprengsel bezeugen die rastlose Geschichte des Judentums. Heute geht man davon aus, dass das Jiddische seit dem 9. Jahrhundert bei den Aschkenasim, Juden aus Mittel- und Osteuropa, in Verwendung ist. Ob seine Ursprünge im Mittelhochdeutschen oder doch im slawischen Sprachbereich zu suchen sind, ist unter Linguisten allerdings umstritten.

Erhellende Genanalyse

Dass man in dieser Frage uneins ist, liegt vor allem daran, dass bisher erst wenig über den geografischen Ursprung der Aschkenasim bekannt ist. Britischen Wissenschaftern könnte es nun aber gelungen sein, mehr Licht ins Dunkel der aschkenasischen Geschichte zu bringen – und damit auch die Anfänge der jiddischen Sprache zu erhellen. Das Team um Eran Elhaik von der University of Sheffield griff für seine im Fachblatt "Genome Biology and Evolution" erschienene Studie auf genetische Untersuchungen von 393 aschkenasischen und iranischen Juden sowie 600 Nichtjuden zurück und setzte sie mit geografischen Daten in Beziehung.

Aus dieser sogenannten Geographic Population Structure (GPS) haben die Forscher auf frühe Wanderbewegungen geschlossen – und diese weisen als Ursprung des Jiddischen auf eine Region im Nordosten der heutigen Türkei hin. Konkret hat Elhaik vier Dörfer identifiziert, die sich vor 1.500 Jahren entlang der historischen Seidenstraße aufreihen. Ihre Namen, Iskenaz, Eskenaz, Ashanaz und Ashkuz, könnten nach Ansicht der Wissenschafter auf das Wort Ashkenaz zurückzuführen sein.

Von der Händlersprache zur Muttersprache

Dies und weitere linguistische Analysen sprechen dafür, dass Jiddisch in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends von slawoiranischen jüdischen Kaufleuten entwickelt wurde, die zwischen Asien und Europa regen Handel trieben. Ihre eigentliche Muttersprache war vermutlich Persisch bzw. Ossetisch. Das Jiddische dürfte demnach zu Beginn wohl eine künstliche Handelssprache gewesen sein, die den Händler einen Vorteil verschaffte.

"Dass unter ihnen eine neue Sprache entstand, die außerhalb der dortigen jüdischen Gemeinschaft die wenigsten verstanden, half ihnen dabei, sich ihre Monopolstellung zu erhalten", meint Elhaik. "Unsere Ergebnisse passen gut zur Struktur des Jiddischen, die auf einer slawischen Grammatik beruht und signifikante iranische und vereinzelte türkische Elemente enthält."

Später, etwa ab dem 9. Jahrhundert, etablierte sich Jiddisch bei den Aschkenasim zunehmend als Hauptsprache und durchlief in Europa eine tiefgreifende lexikalische Veränderung. In dieser Zeit ersetzte nach und nach deutsches und hebräisches Vokabular den ursprünglichen slawischen Wortschatz, die slawische Grammatik dagegen blieb erhalten. (Thomas Bergmayr, 21.4.2016)