Die Nato und Russland liefern sich wieder heftige Wortgefechte zu sicherheitspolitischen Fragen, vor allem über die Lage in der Ukraine. Aber anders als in den vergangenen zwei Jahren der diplomatischen "Eiszeit" zwischen Moskau und Brüssel, wo die transatlantische Militärallianz ihr Hauptquartier hat, war dies am Mittwoch ein relativ erfreuliches Zeichen. In der belgischen Hauptstadt fand auf Botschafterebene eine Sitzung des Nato-Russland-Rates statt, ein im Jahr 2002 geschaffenes Format, um die ehemaligen Kontrahenten der Ost-West-Konfrontation zu einem regelmäßigen Austausch in einer neuen Partnerschaft zu bringen.
Nach der Krise in der Ukraine, der Annexion der Krim durch Russland und der Verhängung von Sanktionen der EU und der USA gegen russische Politiker, Militärs und Firmen wurde der Nato-Russland-Rat im Frühjahr 2014 auf Eis gelegt. Nun soll der Kontakt auf der politisch-militärischen Ebene wieder flottgemacht werden.
"Eine sehr gefährliche Situation"
Beide Seiten eröffneten diese Renaissance der Beziehungen mit Vorwürfen gegen die jeweils andere Seite. Der russische Nato-Botschafter Alexander Gruschko warf der Allianz in einem Interview mit der Welt vor, seinem Land "einen konfrontativen Kurs aufzuzwingen". Über Jahre sei es ruhig und sicher gewesen, die massive Aufrüstung und die Ausdehnung der Nato nach Osten hätten aber wieder "eine sehr gefährliche Situation geschaffen".
Dies entspricht der russischen Lesart, der zufolge das mit der Ukraine Ende 2013 ausgehandelte Freihandels- und Assoziierungsabkommen als Aggression gegen Russland zu werten sei. EU und Nato widersprechen dieser Auffassung mit Verweis auf das Völkerrecht und das Budapester Memorandum strikt. Auch Moskau habe das Recht auf Selbstbestimmung der Ukrainer nach dem Zerfall der Sowjetunion garantiert.
EU-Sanktionen kein Thema
Dementsprechend sprach Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach fast vier Stunden Beratungen davon, dass es "weiterhin sehr grundlegende Differenzen gibt". Aber: Er erwarte, dass man sich wieder treffen werde. Diplomaten werten allein das schon als ersten Erfolg, das Aufmachen eines wichtigen Gesprächskanals. Neben der Ukraine wurde auch über die Lage in Afghanistan und die Risiken von Militärmanövern gesprochen. Beide Seiten wollen ernsthafte militärische Zwischenfälle möglichst vermeiden.
Die EU-Sanktionen gegen Russland waren naturgemäß kein Thema bei der Nato. Darüber wollen die Staats- und Regierungschefs der 28 beim EU-Gipfel im Juni reden. Es gibt immer mehr Staaten, wie Italien oder auch Österreich, die die Sinnhaftigkeit einer Fortsetzung der wirtschaftlichen Sanktionen aus Eigeninteressen in Zweifel ziehen. Von der Beschlusslage her dürften die Zwangsmaßnahmen aber erst wieder aufgehoben werden, wenn der Friedensprozess in der Ukraine gemäß dem vor einem Jahr mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vereinbarten Abkommens von Minsk Fortschritte zeigt. Konkret muss es zu einem Ende der von Russland unterstützten Kampfhandlungen von Separatisten im Osten des Landes, zu einer neuen Verfassung und Wahlen kommen. (Thomas Mayer aus Brüssel, 20.4.2016)