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Jan Böhmermanns Gedicht bringt Bundeskanzlerin Angela Merkel schwer in Bedrängnis.

Foto: Reuters/Matzen/Bensch

Düsseldorf – Nordrhein-Westfalens Landesregierung will die Abschaffung des umstrittenen Majestätsbeleidigungsparagrafen 103 des deutschen Strafgesetzbuches beschleunigen. Der Justizminister des Bundeslandes, Thomas Kutschaty, will eine Initiative im Bundesrat einbringen, um den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung mit sofortiger Wirkung abzuschaffen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am vergangenen Freitag die Ermächtigung der deutschen Bundesregierung zur Strafverfolgung des TV-Satirikers Jan Böhmermann gegeben. Dabei kündigte die Kanzlerin auch die Abschaffung des Paragrafen an – bis 2018.

Paragraf "entbehrlich"

Nach Ansicht Kutschatys will Merkel damit noch die Durchführung des Verfahrens gegen Böhmermann ermöglichen, wie er in der "Rheinischen Post" erläutert. Der nordrhein-westfälische Antrag könnte jedoch bereits kommenden Mittwoch im Rechtsausschuss des Bundesrats eingebracht werden und bei einer Sitzung der Länderkammer am 13. Mai abgestimmt werden. Damit wäre es möglich, den Paragrafen, der von Merkel selbst als "entbehrlich" bezeichnet wurde, noch vor der parlamentarischen Sommerpause abzuschaffen.

Eine Verurteilung Böhmermanns nach Paragraf 103 StGB könnte damit verhindert werden. Böhmermann hatte mit seiner "Schmähkritik" am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die diplomatische Krise zwischen Ankara und Berlin weiter verschärft. Die türkische Regierung hatte ein Ersuchen nach Strafverfolgung gemäß Paragraf 103 gestellt, dem Merkel ihre Zustimmung gab. Auch wenn dieser Prozess nun durch die Initiative Kutschatys gestoppt würde, würde trotzdem ein Verfahren stattfinden, da Erdoğan auch privat einen Strafantrag wegen Beleidigung nach Paragraf 185 StGB gestellt hatte.

Merkel hatte die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen den Willen der SPD-Minister beschlossen. Der Koalitionspartner sieht darin ein Einknicken der Bundeskanzlerin gegenüber dem autoritär regierenden türkischen Präsidenten.

Bundesratsmehrheit

Im Bundesrat verfügen SPD und Grüne noch über eine Mehrheit. Dies wird sich demnächst ändern, sobald die neue grün-schwarze Regierung Baden-Württembergs angelobt ist. Falls die Länderkammer für die sofortige Abschaffung des Paragrafen 103 stimmt, wäre der Bundestag am Zug. Dies würde beide Regierungspartner in eine delikate Situation bringen: sowohl in der SPD als auch der Union haben sich im Zuge der Debatte bereits zahlreiche Funktionäre für eine Abschaffung ausgesprochen. Der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hatte gar von einer Streichung des Paragrafen im nächsten Plenum gesprochen. Würden die Bundestagsabgeordneten gegen die von Merkel vorgegebene Linie stimmen, wäre eine Regierungskrise programmiert. Ein Votum für die Beibehaltung eines "entbehrlichen" Paragrafen würde dagegen für erheblichen Erklärungsbedarf sorgen.

Paragraf 103 ist in der deutschen Rechtsprechung seit den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wegen der Klagen des persischen Herrschers Mohammed Reza Pahlevi als "Schah-Paragraf" bekannt, mittlerweile beginnt sich die Bezeichnung "Erdoğan-Paragraf" durchzusetzen. (Michael Vosatka, 20.4.2016)