Istanbul – Die Ausstrahlung des Senders IMC TV wurde mitten in einem Live-Interview gestoppt – nichts Ungewöhnliches in der Türkei. Der Druck auf die Medien nimmt stetig zu.

Die türkische Journalistin Banu Güven spricht mit ihrem Kollegen Can Dündar gerade über Pressefreiheit, als sie innehält und sich ans Ohr fasst. Die Ausstrahlung ihres Senders IMC TV wurde gestoppt, erfährt sie über ihre Kopfhörer und teilt es dem verwirrten Publikum mit. Wer vor dem Fernseher saß, bekommt das nicht mehr mit. IMC TV ist ab dem Zeitpunkt nur über Live-Stream zu erreichen.

Von wem die Anweisung zum Abschalten kam, daran hat Güven auch fast zwei Monate nach dem Vorfall kaum Zweifel. Mitarbeiter aus dem Büro von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hätten beim Satellitenanbieter Türksat angerufen und gebeten, den Sender abzuschalten, vermutet sie. "Es kann keine andere Begründung geben".

Keine offizielle Stellungnahme

Eine offizielle Stellungnahme von Türksat gibt es nicht. Doch ein Schreiben der Staatsanwaltschaft gibt Hinweise auf den Hintergrund. Gegen IMC TV werde wegen Terrorpropaganda ermittelt, heißt es darin. "Ohne eine gerichtliche Entscheidung oder ein Urteil hat der Staatsanwalt Türksat darum gebeten, unseren Vertrag neu zu bewerten", kritisiert Güven. Der Sender berichtet ausführlich über den Kurdenkonflikt und das Vorgehen der Armee gegen die in der Türkei verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Südosten der Türkei. Dennoch sei IMC TV nicht "pro-kurdisch" und schon gar nicht pro PKK, sondern unabhängig, sagt Güven.

Situation der Medien

Der Fall von IMC TV ist beispielhaft für die Situation der Medien in der Türkei. Oppositionelle Veröffentlichungen stehen immer mehr unter Druck. Im vergangenen Jahr etwa stürmte die Polizei die Redaktion der einst regierungskritischen Zeitung "Bugün". Sie wurde unter staatliche Zwangsaufsicht gestellt, auf Regierungslinie gebracht und dann ganz eingestellt.

Ähnlich erging es der Zeitung "Zaman", die inzwischen auch auf Regierungskurs ist. Die Publikationen gehörten zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen – einst engster Verbündeter Erdogans, inzwischen Staatsfeind. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter Ohne Grenzen belegt die Türkei Platz 151 von 180 und rutscht damit im Vergleich zum vergangenen Jahr um zwei Plätze ab.

Suche nach Alternativen

Die türkischen Journalisten suchen Alternativen, gründen neue Publikationen, wie die Zeitung "Özgür Düsünce" ("Freier Gedanke"). Und auch IMC TV sendet weiter. Über Live-Stream und den Satellitenbetreiber Hotbird – auch wenn der Sender damit nicht mehr so viel Reichweite hat wie früher. Dadurch gebe es auch weniger Werbeaufträge und damit weniger Geld, sagt Güven.

IMC TV ist in einem Bürogebäude im Istanbuler Stadtteil Fatih untergebracht. Dort teilt sich Güven ein fensterloses Büro mit einer Kollegin. Etwas mehr als 100 Mitarbeiter arbeiten bei dem kleinen Sender. Die 46-jährige Güven wirkt jugendlich, trägt Jeans, ihre Haare sind glatt nach unten gekämmt.

Güven arbeitet seit mehr als zehn Jahren als Journalistin. Der Druck auf die Medien in der Türkei sei jedoch noch nie so groß gewesen, sagt sie und teilt damit die Meinung vieler Kollegen. "Es ist alles Mono. Die meisten Fernsehsender und Zeitungen gehören der Regierung, und wenn ich Regierung sage, dann meine ich Erdogan." Tatsächlich kontrollieren regierungsnahe Medienkonzerne einen Großteil des Markts in der Türkei.

Soziale Medien als Informationsplattform

Bleibt das Internet. Vor allem soziale Medien sind in der Türkei eine wichtige Austausch- und Informationsplattform. Doch die Zensur im Internet hat nach Ansicht des Internetexperten Yaman Akdeniz ebenfalls zugenommen. Eine Verschärfung des Internetgesetzes im Frühjahr vergangenen Jahres erlaube unter anderem die Sperrung von Webseiten zum Schutz der öffentlichen Ordnung. Die Bestimmung werde seit vergangenen Sommer systematisch gegen kurdische Medien und regierungskritische Websites oder soziale Medien eingesetzt, sagt Akdeniz. Webseites würden außerdem wegen Diffamierung von Politikern gesperrt.

2000 Ermittlungen wegen Beleidigung von Erdogan

Alleine wegen Beleidigung von Erdogan laufen laut Justizministerium rund 2.000 Ermittlungen. Zuletzt bekam auch der deutsche Satiriker Jan Böhmermann Erdogans Klagefreude zu spüren. Dass die deutsche Regierung die Ermittlungen gegen Böhmermann erlaubte, sei "nicht sehr hilfreich", kritisiert Akdeniz.

Dündar ist Chefradakteur der Zeitung "Cumhuriyet". Er und der Hauptstadt-Büroleiter der Zeitung, Erdem Gül, stehen unter anderem wegen Spionage vor Gericht. An dem Tag als Türksat IMC TV abschaltete, wurden beide aus der Untersuchungshaft entlassen. Dündar betont im Interview, wie wichtig unabhängige Medien in der Türkei seien. "Wenn es IMC TV nicht geben würde, hätten wir nicht erfahren, was im Südosten passiert ist", sagt Dündar. Es ist sein letzter Satz. Dann wird der Sender abgeschaltet. (APA/Mirjam Schmitt/dpa, 20.4.2016)