Nur Samsung und Apple verkaufen mehr Smartphones. Im vergangenen Jahr hat der chinesische Hersteller Huawei eine beachtliche Aufholjagd hingelegt und mit über 100 Millionen verkauften Handys altgediente Hersteller überholt. Und das Unternehmen ist noch nicht am Ende seiner Ziele: Man wolle Apple überholen, und die Nummer zwei am Smartphone-Markt werden, heißt es. Dafür hat man sich mit dem deutschen Kamerahersteller Leica zusammengetan.

P9 mit Leica-Kamera

Mit dem Smartphone-Flaggschiff P9 wurde das erste gemeinsame Produkt vorgestellt. Das Highlight des Handys befindet sich auf seiner Rückseite. Dort arbeiten eine Farb- und eine Schwarz-Weiß-Kamera mit jeweils zwölf Megapixeln Seite an Seite. Das gemeinsam mit Leica entwickelte Dual-Fotomodul soll besonders kontraststarke Bilder liefern.

Außerdem erlaubt die Fotokamera Tiefenschärfe-Effekte und hat wegen des besonders lichtstarken Monochrom-Sensors wenig Probleme mit schwierigen Lichtverhältnissen. Der Hybrid-Autofokus arbeitet mit Laser, Tiefenkalkulation oder Kontrast – je nachdem, welches Verfahren in der jeweiligen Aufnahmesituation das beste Ergebnis verspricht. Zudem kann der Schärfebereiche auch noch nach der Aufnahme geändert werden.

Die Rückseite des P9.
Foto: derStandard.at/Pichler

Für den Test wurden Aufnahmen bei schwierigen Lichtverhältnissen gemacht. Auch wenn sich mit dem P9 aufgenommen Fotos von der Konkurrenz deutlich abheben, gegen das Galaxy S7 tut sich das P9 im Test schwer – das Samsung-Gerät liefert etwas schärfere Kontraste und kräftigere Farben. Die Rauschanfälligkeit bei weniger Echtlichtanteil ist merklich höher, als beim Rivalen.

Fokus und Auslöser arbeiten allerdings flott. Auch die Kamera-App selbst startet schnell und ist sofort einsatzbereit. Sie bietet Schnellzugriff auf verschiedene Filter sowie einen Tiefenunschärfe-Modus und zwei Modi zur Verschönerung von Selfies über Softwarekorrekturen wie Hautglättung. "Profi-Einstellungen", das Anpassen des ISO-Wertes, Verschlusszeit und mehr, sind mit einer kurzen Wischgeste zugänglich.

Aufnahme mit dem P9.
Aufnahme mit dem Samsung Galaxy S7.
Foto: sum

Die Brennweite der Kameras mit asphärischen Leica-Linsen gibt der Hersteller jeweils mit 27 mm an, die Lichtstärke mit f/2.2. Neben drei Film-Modi, die besonders authentische Farben in Videos garantieren sollen, gibt es auch einen speziellen Modus für ausdrucksstarke Schwarzweiß-Fotos, bei dem nur die Monochrom-Kamera aktiv ist.

Fiaker mit dem P9 fotografiert.
sum
Vor dem Parlament mit dem P9 fotografiert.
sum

Das P9 steckt in einem knapp sieben Millimeter dünnen Unibody-Gehäuse aus Aluminium. Die Verarbeitung ist hochwertig. Die Tasten haben nur geringes Spiel. Optisch erinnert das P9 etwas an die Sony Xperia-Reihe, wobei der dunkle Glasstreifen mit Doppelkamera hervorsticht. Er liegt flach am Gehäuse an, somit wippt das Handy nicht, wenn man es etwa bedient, während es auf einem Tisch liegt.

Der Bildschirm wartet mit einer Diagonale von 5,2 Zoll auf und bietet Full-HD-Auflösung (1.920 x 1.080). Das IPS-Panel punktet mit kräftigen Farben und guten Kontrasten. Auch die maximale Helligkeit erscheint ordentlich. Es gibt 32 GB Onboardspeicher und drei GB RAM bzw. 64 GB Speicher und vier GB RAM. Wahlweise können zwei SIM-Karten verwendet oder der Speicher per microSD-Karte erweitert werden.

Das Smartphone ist mit dem vom Hersteller selbst entworfenen Achtkernprozessor Kirin 955 ausgestattet. Dessen Rechen- und Grafikleistung liegen laut Benchmarks auf dem Niveau anderer Flagschiffe. Im Allround-Test mit Antutu erreicht das Huawei P9 über 93.000 Punkte und ordnet sich in der Mitte zwischen iPhone 6 und 6s ein. Letzteres liegt bei 134.000 Zählern, knapp dahinter folgt das LG G5 als eines der aktuellen Android-Flaggschiffe.

Foto: derStandard.at/Pichler

Im Vergleich mit der derzeitigen Snapdragon-Konkurrenz hinkt Huaweis eigener Chip in puncto Grafikleistung nach. Im 3DMark-Durchlauf (Slingshot ES 3.1) reicht es für 967 Punkte bei ruckelnder Darstellung. Einen starken synthetischen Testwert spuckt der Browserbenchmark Vellamo aus, hier misst sich das P9 mit dem Spitzenfeld.

Im Alltag werden die Benchmarks bestätigt. Man navigiert verzögerungsfrei durch die Systemoberfläche. Apps starten schnell. Auch aufwändige Games laufen gut, werden aber gelegentlich mit etwas reduzierten Grafikeinstellungen ausgeführt.

In Sachen Konnektivität wartet das Handy mit LTE, ac-WLAN, Bluetooth 4.0 und einer Typ-C-Buchse für verdrehsichere USB-Stecker auf. Der Akku im 144 Gramm schweren P9 liefert 3000 Milliamperestunden (mAh). Das reicht im Test für über einen Tag intensiver Nutzung. Wer das Handy sparsam gebraucht, dürfte auch zwei Tage durchkommen.

Foto: derStandard.at/Pichler

Das P9 bringt einen Fingerabdrucksensor mit, der per Fingerwisch oder -tipp auch zur Navigation und Steuerung genutzt werden kann – etwa zum Herunterrollen der Benachrichtigungsleiste, zum Durchsehen von Fotos per Wischen oder zum Annehmen von Anrufen und zum Auslösen der Kamera per Fingertipp. Das Entsperren des Gerätes per Fingerkuppe funktioniert flott und zuverlässig.

Wer schnell Screenshots machen, eine Videoaufnahme beginnen oder bestimmte Apps starten möchte, kann dies auch über Klopf- und Wischgesten mit den Fingerknöcheln auf dem Display tun (Knuckle Control).

Foto: derStandard.at/Pichler

Vorinstalliert ist Huaweis eigene Android-Adaption "Emotion UI" auf Basis von Version 6.0 "Marshmallow". Die Oberfläche wurde grafisch recht stark umgebaut. Unter anderem – und unverständlicherweise – verzichtet man weiterhin auf einen App-Drawer. Der Nutzer muss zwangsläufig alle Apps über Homescreens verteilen, so er nicht einen alternativen Launcher installieren möchte. Auch die Benachrichtigungsleiste wurde angepasst. Die Bedienung wurde nicht gerade erleichtert.

Standard-Apps wie E-Mail, Videoplayer und Kontaktmanager hat Huawei mit Eigenbauten ersetzt, die keinen ersichtlichen Mehrwert zu Googles Umsetzungen bieten. Eine App namens "HiCare" bietet Schnellzugriff auf Anleitungen, verschiedene Einstellungen, Service-Kontakte sowie Huaweis Foren und Facebookseite.

Ebenso wurden einige Drittprogramme aufgespielt. Die Bandbreite reicht von Social Media (Twitter, Facebook) über eine Hotelbuchungsplattform, eine Office Suite oder verschiedene Spiele. Wer dafür keinen Bedarf hat, kann die zusätzlichen Apps aber problemlos deinstallieren.

Foto: derStandard.at/Pichler

Fazit

Ab etwa 500 Euro wird das Huawei P9 derzeit verkauft. Preislich liegt das Handy damit einen deutlichen Tick unter den Topmodellen von Samsung und Co. In Sachen Performance und Kamera kann es hier auch nicht ganz konkurrieren, erfüllt aber trotzdem gehobene Ansprüche sehr gut.

Bei der Verarbeitung muss sich der chinesische Hersteller nicht verstecken. Das Smartphone fühlt sich wertig an und liegt gut in der Hand. Verzichtbar sind allerdings die Anpassungen der Oberfläche durch den Hersteller – und mit Ausnahme der Kamera- und Support-App auch die eigenen Zusatzprogramme.

Wer ein ordentliches Android-Handy sucht, das in den meisten Situationen gute Figur macht und das Budget weniger belastet als andere Marken-Konkurrenz, sollte auf jeden Fall einen zweiten Blick auf das P9 werfen. (sum, gpi, 29.05.2016)