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Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel hätte dem Begehren des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht stattgeben dürfen, meint Rechtsanwalt Alfred J. Noll. Er hält die Entscheidung der deutschen Regierung für skandalös.

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Geht mit Merkel hart ins Gericht: Alfred J. Noll.

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Landauf und landab erhitzen sich die Gemüter. Satire hin, Satire her – flugs wird alles über den Leisten zuvor bestehender Dispositive geschlagen, kenntnisfreie Stimmungslagen münden in lautstarke Verurteilungen.

Aufgeklärtheit würde in einer derartigen Situation freilich darin sich erweisen, den bestehenden Ambiguitäten argumentativ Tribut zu zollen.

Dass der gute Ruf eines ausländischen Staatsoberhaupts überhaupt ein schutzfähiges Gut ist, hat nichts mit der Ehre der fremden Staatsoberhäupter zu tun, sondern mit der Sicherung der auswärtigen Beziehungen eines Landes. Was auch immer Böhmermann gesagt oder nicht gesagt, worüber auch immer sich Herr Erdogan erregt oder nicht erregt hat, all dies ist unerheblich, weil es hier nicht um die Ehre des sich gekränkt Zeigenden und nicht um die Freiheit des Kunstsprechenden, sondern einzig und allein um (außen)politische Opportunität geht.

Der Ehrenschutz für ausländische Staatsoberhäupter ist eine Sicherungsnorm gegen die Störung des zwischenstaatlichen Verkehrs. Es soll ausschließlich von der jeweiligen politischen Beurteilung der Bundesregierung abhängig sein, ob es zu einem Strafverfahren kommt. Deshalb ist die einschlägige Bestimmung des deutschen Strafrechts als Ermächtigungsdelikt ausgeprägt. Nur wenn eine derartige Ermächtigung vorliegt, darf es überhaupt zu einer Verfolgung kommen – gibt es keine Ermächtigung, gibt es auch kein Delikt!

Die Bundesregierung muss sich nach Maßgabe ihrer politischen (und nicht ihrer rechtlichen!) Einschätzung entscheiden, ob ihr zur Wahrung und Sicherung ihrer außenpolitischen Ambitionen eine Strafverfolgung opportun erscheint. Gibt sie die Ermächtigung und zeigt sich damit fügsam gegenüber dem türkischen Bestrafungswillen, dann hat dies mit Rechtsgründen nichts zu tun – sie demonstriert damit lediglich eine situative Willfährigkeit, die überaus beredter Ausdruck ihrer außenpolitischen Schwäche ist, aber mit Kunst- und Meinungsfreiheit nichts zu tun hat. Das immerhin hat Merkel deutlich zum Ausdruck gebracht: Die Regierung entscheidet nicht über das erlaubte Ausmaß der Kunst- und Satirefreiheit.

Sie macht etwas viel Schlimmeres: Mit der nun erteilten Ermächtigung bringt sie zum Ausdruck, dass sie eine Verfolgung von Böhmermann will, ja sogar politisch für notwendig hält! Die gegen Merkel gerichtete Kritik ist vielerorts viel zu sanft und unbedarft: Gerade weil die Erteilung der Ermächtigung von Rechts wegen der Bundesregierung vollständig freisteht, sie mit dieser Erteilung also ausschließlich ihren autonomen (wahren) politischen Willen bekundet, gerade deshalb ist sie so skandalös!

Eigener Verfolgungswille

Die sich charmant gebende Ausrede und die allenfalls bestehende Mentalreservation – Deutschland sei ein Rechtsstaat, die Kunstfreiheit werde durch die unabhängigen Gerichte ohnedies garantiert, und also werde es zu einer Verurteilung von Böhmermann nicht kommen, und also könnten wir gefahrlos die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen – sind heuchlerisch. Die Erteilung der notwendigen Ermächtigung ist expliziter Ausdruck des eigenen Verfolgungswillens.

Republikanisch-aufgeklärtes Denken hätte nicht die Strafgerichte zum Turnierplatz für die gekränkte Ehre Erdogans eröffnet, sondern Erdogan auf das Ergebnis der ohnedies schon stattfindenden privaten Rechtsverfolgung verwiesen und überdies ein persönliches Treffen dazu genutzt, dem gekränkten Staatsoberhaupt handschriftlich einen Merksatz von Peter Weiss ins Poesiealbum zu pressen: "Die Tatsache kann nicht abgewiesen werden, dass derjenige, der es über sich bringt, von allen Rücksichtnahmen Abstand zu nehmen und die Machtelite der modernen Hölle mit abgründigen und kloakenhaften Ausdrücken zu belegen, mehr um die Wahrheit bemüht ist als derjenige, der sich noch um die Festhaltung ihrer Hoheitszeichen bemüht." (Alfred J. Noll, 17.4.2016)