Istanbul – Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann hat es am Samstag auf die Titelseiten der türkischen Presse geschafft: "Erdogan-Kriterien in Europa: Merkel hat nachgegeben, das Verfahren gegen den Comedian beginnt", titelte die regierungskritische Zeitung "Cumhuriyet". "Merkels Stimme für Erdogan", schrieb die auch regierungskritische "Hürriyet". Und die liberale "Vatan" kommentierte: "Erlaubnis erteilt".

"Zum ersten Mal seit 1964", meldete die regierungsfreundliche Tageszeitung "Habertürk" auf ihrer ersten Seite. Damit spielte das Blatt auf die diplomatische Verwerfung zwischen der Bundesrepublik und dem Schah von Persien an. Denn im Dezember 1964 veröffentlichte die Tageszeitung "Kölner Stadt-Anzeiger" eine satirische Fotomontage vom Schah von Persien. Der persische Hof bat um Strafverfolgung, und Bundespräsident Heinrich Lübke ließ ermitteln. Das Amtsgericht Köln verurteilte daraufhin den Ressortleiter der Zeitung und den Grafiker zu mehreren tausend Mark Geldstrafe.

"Für den arroganten deutschen Comedian" sei der Weg für ein Rechtsverfahren nun frei, freute sich die regierungsnahe "Sabah" am Samstag. Und die als Sprachrohr der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, die Tageszeitung "Yeni Safak" jubelte auf dem Titel: "Die Ermittlungen gegen den Scharlatan beginnen".

Strafverfolgung und Sendepause

Am Freitag hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die deutsche Justiz ermächtigt, gegen den 35-jährigen Böhmermann zu ermitteln. Der Moderator hatte in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" am 31. März ein umstrittenes Gedicht verlesen. Zuvor hatte er vorausgestellt, dass er mit seinem Gedicht den Unterschied zwischen Schmähkritik und Satire aufzeigen wolle. Das ZDF nahm das Stück aus der Mediathek, Ankara beharrte weiterhin auf eine Strafverfolgung Böhmermanns. Parallel dazu stellte Erdogan auch Strafanzeige als Privatmann wegen Beleidigung. Am Samstag kündigte Böhmermann via Facebook an, eine Fernsehpause einzulegen.

Der Münchener Anwalt Erdogans, Hubertus von Sprenger, kündigte an, notfalls alle Rechtsmittel ausschöpfen, und bis zu den höchsten Gerichten zu gehen. "Wenn ich das Mandat annehme, dann ziehe ich es auch durch", sagte er im ZDF-"Heute-Journal". Böhmermann werde "sicher keine erhebliche Strafe bekommen, sondern es wird eine Strafe sein, die erforderlich ist, um ihn auf den rechten Weg wieder zurückzuführen, Satire zu machen und nicht mehr plumpe Beleidigungen", so von Sprenger. Sein Mandant Erdogan gilt als besonders klagefreudig. Seit seiner Wahl zum ersten direkt vom Volk gewählten Staatschef im August 2014 hat Erdogan persönlich fast 2.000 Strafverfahren wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung in der Türkei einleiten lassen.

"Merkel wie Erdogan?"

In der Türkei ging die Böhmermann-Debatte bisher weitgehend unter. Zwar verurteilten vergangene Woche die regierungsnahe Tageszeitung "Sabah" das Böhmermann-Stück: "In der deutschen Geschichte gab es noch nie ein derartiges Hass-Gedicht, auch wenn es unter der Rubrik 'Satire' veröffentlicht wurde". Damit werde eine ganze Nation beleidigt, so die "Sabah". Die ebenfalls regierungsnahe Tageszeitung "Star" schrieb von einer üblen "Pornofantasie" Böhmermanns. "Die Deutschen sind empfindlich, wenn es um ihre Kultur geht. Aber wenn der Humor auf dem Niveau eines deutschen Pornofilms ist, dann müsste man über diese Kultur vielleicht diskutieren", hieß es in einem Kommentar.

Zu einem landesweiten Thema wurde Böhmermann aber erst mit Merkels Entscheidung, ein Strafverfahren gegen den Moderator zuzulassen. "Wird Merkel wie Erdogan?", fragte ein Kommentator am Samstag in der regierungskritischen Onlinezeitung "T24".

Forderung nach Klaren Worten Merkels

In Deutschland riefen SPD und Opposition die Kanzlerin unteredessen auf, bei ihrer Türkei-Reise Ende der Woche deutlich für Meinungsfreiheit einzutreten. Sie würde sich wünschen dass die Kanzlerin klare Worte zur Presse- und Meinungsfreiheit finde, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley der "Welt am Sonntag". Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte derselben Zeitung, die Reise Merkels dürfe "keine peinliche Entschuldigungsfahrt werden".

Daher sollte die Kanzlerin ein klares Zeichen für Pressefreiheit setzen und kritische Journalisten und die Opposition treffen. Ähnlich äußerte sich auch Linken-Chefin Katja Kipping. Merkel reist drei Wochen nach dem Start des umstrittenen EU-Türkei-Abkommens am Samstag mit EU-Spitzenvertretern in die Türkei. (APA, 17.4.2016)