Abgang: Angela Merkel hat soeben die Ermächtigung zur Strafverfolgung Jan Böhmermanns verkündet.

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Jan Böhmermanns Ankündigung seines temporären Rückzugs aus dem TV kam nicht überraschend. Der Satiriker der ZDF-Show "Neo Magazin Royale", der sich schon in den vergangenen zwei Wochen weitgehend aus der Debatte über seine "Schmähkritik" am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan herausgehalten hat, zieht damit die Konsequenzen aus dem zunehmend besorgniserregenden Kurs der deutschen Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Schritt ist nur ein weiterer Akt in der Posse um die inszenierte Beleidigung des türkischen Machthabers.

"Ich möchte gerne in einem Land leben, in dem das Erkunden der Grenze der Satire erlaubt, gewünscht und Gegenstand einer zivilgesellschaftlichen Debatte sein kann", hatte Böhmermann schon Anfang April an Kanzleramtschef Peter Altmaier geschrieben.

Die Ermächtigung zur Strafverfolgung Jan Böhmermanns nach Paragraf 103 des deutschen Strafgesetzbuches am Freitag beweist, dass dies in Merkels Deutschland jedenfalls nicht erwünscht ist. Die Zustimmung zum türkischen Ersuchen ist die größte Fehleinschätzung der Kanzlerin in einer ganzen Serie von Irrtümern. Verrechnet hat sie sich in der jüngeren Vergangenheit mit ihrem naiven Kurs in der Flüchtlingskrise ebenso wie mit der Vorstellung, mit der Türkei unter einem Herrscher wie Erdoğan einen belastbaren Deal eingehen zu können.

Aussitzen

Doch im Konflikt mit Ankara über Satiresendungen im deutschen Fernsehen ist mehr als offensichtlich geworden, dass Merkel die Zügel völlig entglitten sind.

Zu Beginn der Affäre glaubte die Kanzlerin noch, das Thema aussitzen zu können. Die Einbestellung des deutschen Botschafters ins türkische Außenministerium in Folge eines Liedbeitrages in der NDR-Satiresendung "Extra 3" war ihr keinen Kommentar wert. Während das Thema mit gehöriger Zeitverzögerung hochkochte, blieb sie im Osterurlaub auf La Gomera abgetaucht. Die Türkei, die laut Merkels Stellungnahme vom Freitag mit Deutschland "eng und freundschaftlich verbunden ist", für die ganz und gar nicht freundschaftliche Reaktion in die Schranken zu weisen kam ihr nicht in den Sinn.

Beschwichtigen

Anstatt auf das Schreiben Böhmermanns an Altmaier zu reagieren, ließ Merkel am Folgetag von ihrem Sprecher Steffen Seibert verlautbaren, dass sie in einem Entschuldigungstelefonat mit Ahmet Davutoglu mit ihrem Amtskollegen übereinstimmte, es handle sich bei dem Gedicht um einen "bewusst verletzenden Text". Der Beschwichtigungsversuch Erdoğans zeigte keine Wirkung, die türkische Regierung schickte postwendend das Ersuchen zur Strafverfolgung Jan Böhmermanns.

Merkel präsentierte in ihrer Stellungnahme ihre Beweggründe für die Ermächtigung zur Strafverfolgung so, als ob es von ihr abhänge, dass sich die Gerichtsbarkeit mit dem Böhmermannschen Gedicht befasst. Es sei nicht Sache der Regierung, sondern der Justiz, zwischen Persönlichkeitsrechten und Meinungsfreiheit abzuwägen. Sich auf diese Weise hinter dem Rechtsstaat zu verstecken ist unehrlich und feige. Da Erdoğan ohnehin auch persönlich gemäß Beleidigungs-Paragraf 185 ein Strafverfahren gegen Jan Böhmermann angestrengt hat, stand bereits vorher fest, dass die Justiz über die Causa entscheiden wird. In Paragraf 104a ist jedoch klar geregelt, dass die Regierung über eine Strafverfolgung nach Paragraf 103 zu entscheiden hat. Von einer zwingenden Zustimmung ist darin keine Rede. Eine Ablehnung des türkischen Ersuchens würde daher eindeutig im Einklang mit dem Rechtsstaat stehen. Doch um ein Zeichen zu setzen und Ankara die Grenzen aufzuzeigen fehlte der Kanzlerin der Mut.

Einknicken

Merkel erklärt Paragraf 103 für entbehrlich und kündigt seine Abschaffung an, lässt jedoch im selben Atemzug eine Strafverfolgung nach diesem entbehrlichen Paragrafen zu. Für die Durchsetzung dieses unlogischen Schrittes düpiert sie sogar ihren Koalitionspartner: die SPD hatte klar Position für die Ablehnung des türkischen Ersuchens bezogen.

Das Signal ist bedenklich: ganz offensichtlich ist Merkel die gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Despoten Erdoğan wichtiger als mit dem eigenen Regierungspartner. Kurzfristig gedacht mag sich das Einknicken für die Kanzlerin sogar rechnen, schließlich ist bereits für kommenden Samstag der Besuch eines Flüchtlingslagers in der südtürkischen Stadt Gaziantep geplant.

Doch der dauerbeleidigte türkische Präsident wird bald einen neuen Beschwerdegrund finden und versuchen, Merkel mit weiteren Forderungen vor sich herzutreiben. Während die Beschwichtigung nur von kurzer Dauer sein wird, ist der Schaden an der Koalition nachhaltig. Merkel befindet sich längst in einer sich immer schneller drehenden Abwärtsspirale. Die SPD wird sich deutlicher gegen die Politik der Kanzlerin positionieren müssen, um nicht mitgerissen zu werden. Merkels Entscheidung macht dies der SPD leichter.

Mit jedem Mal, wenn Merkel bei eigenen Auftritten oder via Regierungssprecher verlautbart, dass die Freiheit der Meinung in Deutschland unantastbar sei, wird die Aussage unglaubwürdiger. Wenn es offenbar notwendig ist, eine durch das Grundgesetz vorgegebene Selbstverständlichkeit dauernd zu betonen, dann sieht die Realität wohl anders aus. Die von der Regierung gesetzten Schritte stehen jedenfalls im klaren Widerspruch zu den schönen Worten und Versprechungen.

Die Kanzlerin spielt ihre Rolle in der Satireinszenierung Böhmermanns perfekt, doch zum Lachen ist Stück schon längst nicht mehr: Merkels Handlungsunfähigkeit gegenüber der Türkei ist nicht nur ein Problem für Deutschland, sondern für die ganze Europäische Union. (Michael Vosatka, 17.4.2016)