Ted Milton und sein wild-wütendes Punkjazz-Trio Blurt gastieren dieses Wochenende vielleicht ein letztes Mal in Wien. Vielleicht.


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Wien – Im leichten Lied des deutschen Schlagers steckt oft viel Wahrheit. Eine von Roger Whittaker bekannt gemachte lautet zum Beispiel: "Abschied ist ein scharfes Schwert, das oft so tief ins Herz dir fährt." Vieles im Alter wird zwar nicht besser, aber einiges mit Sicherheit leichter. Messer zum Beispiel werden stumpf und das Schneiden damit anstrengend. Darum lässt man es bleiben. Wozu auch, irgendwann kommt der große Schnitter, und man bekommt es ohnehin gebacken.

Ted Milton und sein fantastisch wütendes, stur groovendes, aus den Fugen geratendes, nein, aus allen Nähten platzendes und zum Kontrollverlust durch Hinein- und Durchbeißen neigendes Trio Blurt zum Beispiel hat man schon gefühlte dreimal auf großer Abschiedstournee in Wien erlebt. Das war vor der aktuellen Beteuerung, jetzt aber wirklich das allerallerletzte Mal auf Achse zu sein.

Die erste Trennung fand möglicherweise in den 1990er-Jahren in einem kleinen Ottakringer Konzertkeller statt. Vor dem Konzert bestellte sich Milton an der Bar einen Jim Beam, um auf die Frage einfach oder doppelt die eines Helmut Qualtinger würdige Antwort "A bottle, my dear" zu geben.

Ez egy ilyen kor

So sind sie, die Jazzer alten Schlages. Mit einem Messer im Rücken gehen sie noch lange nicht nach Hause. Jazz spielt Ted Milton als erst mit Mitte 30 selbst angelernter Freistil-Brülltiersaxofonist ungefähr so, wie wenn sein Idol Ornette Coleman mit gebrochenen Fingern improvisatorisch über einige Evergreens der Sex Pistols drübergegangen wäre. Coleman hätte allerdings sicherheitshalber die Refrains aufgrund zusätzlicher Akkordwechsel weggelassen – weil: das Recken des Mittelfingers schaut zwar verdammt gut aus, aber es tut mit hiniger Pratzen auch ure weh. Warum sich quälen, wenn man das mit anderen machen kann?

Kurz gesagt: Ted Milton betreibt mit Blurt seit Ende der 1970er-Jahre ein meist auf der Grundlage Gitarre, Schlagzeug, Hupe, AmokKoma-Entfesselungsgesang definitiv nicht in sich ruhendes Unternehmen, dessen dunkles Herz zwischen drei Polen schlägt: Wir hören gleichzeitig spirituellen wie deliriös-halluzinatorischen Entäußerungsjazz, mönchische Gebetsmühlen-Eintönigkeit und von reflexivem Wahnsinn kaum gebremstes Berserkertum eines spontan dichtenden Wanderpredigers. Miltons Stimme mag zwar altersmilder geworden und aus den gutturalen Tiefen Richtung Zimmer mit Aussicht gewandert sein. Aber Vorsicht, lange werden Miltons Lieder nicht leise flehen. Irgendwann packt es den Mann, und er geht auf das Publikum los wie ein Matrose, der sich nach drei Jahren auf See auf Brautschau befindet.

witzenstein

Ende der 1940er-Jahre irgendwo draußen vor den Toren Londons geboren, handelt es sich beim bald 74-jährigen Ted Milton nicht nur um einen Mann, der noch die englische Variante der Beatnikbewegung mitmachte und Anfang der Sixties eine gewissen Ruf als vielversprechender Poet im Musenhain der drogeninduzierten Avantgardelyrik genoss. Davon legen Sontexte wie The Fish Needs a Bike, The Body that They Built to Fit the Car oder My Mother Was a Friend of an Enemy of the People noch heute Zeugnis ab.

Milton lernte auch Buchbindekunst und veröffentlicht in losen Abständen handgemachte, materialverliebte Lyrikbände im Selbstverlag. Und er war jahrelang Puppenspieler. Allerdings sollen die bekennend-absurden Stücke mindestens verstörend und karrierezerstörend gewesen sein.

Vor sechs Jahren ist Milton ein später Vater geworden. Er muss jetzt vernünftiger sein. Touren zehrt an der Substanz. Abschied ist ein scharfes Schwert. Aber Vorsicht, wenn man Ted Milton entwaffnet, hat er vielleicht noch ein Feitel extra einstecken. (Christian Schachinger, 15.4.2016)