Pro: Rechtzeitig vorbereitet
von Eric Frey

Wer immer der Koalition vorwirft, sie würde einen Flüchtlingsnotstand erfinden, um die Einschränkung des Asylrechts zu rechtfertigen, sollte sich die Bilder vom vergangenen Herbst vor Augen führen: Da kamen täglich tausende Menschen in Nickelsdorf oder Spielfeld an und überforderten alle Institutionen im Land. Dass der Flüchtlingszustrom nun abgebrochen ist, liegt an der von Österreich betriebenen Sperre der Balkanroute, die von den Gegnern der Asylnovelle ja ebenso heftig attackiert wird, und am umstrittenen EU-Deal mit der Türkei. Ohne den wären die Flüchtlingszahlen heuer noch viel höher.

Ob diese Barrieren halten, ist unsicher. Vor allem von Nordafrika aus bahnt sich der nächste Exodus an. Dieser wird Österreich erreichen, wenn Italien die Flüchtlinge nach Norden ziehen lässt, wo die meisten ja hinwollen. Im Vorjahr wurde der Regierung vorgeworfen, sie habe sich nicht rechtzeitig auf die Flüchtlingskrise vorbereitet. Diesmal werden die baulichen und rechtlichen Vorkehrungen für den Notfall getroffen; das ist grundvernünftig.

Es ist auch zulässig, bei einem Massenansturm nicht alle Asylanträge anzunehmen: Das völkerrechtliche Prinzip, jedes Schutzgesuch müsse geprüft werden, war für Einzelschicksale, nicht für große Migrationsströme gedacht. Für ein korrektes Verfahren muss der Asylwerber erst aufgenommen und versorgt werden – und kann bei einem negativen Ausgang kaum abgeschoben werden.

Das bietet Millionen den Anreiz, für viel Geld die gefährliche Fahrt übers Meer zu wagen, weil sie hoffen, so nach Deutschland oder Österreich zu gelangen. Für eine solche Politik der unbegrenzten Einwanderung fehlt nicht nur hier, sondern in ganz Europa die demokratische Legitimation. Wer sie verlangt, riskiert einen Rechtsruck, der jeden Anstand in der Migrationspolitik beenden würde.

Die Regierung plant daher eine Notbremse, die eingesetzt werden kann, aber nicht muss. Sie hat diese mithilfe von Juristen so formuliert, dass sie in den EU-Rechtsrahmen passt. Das war nicht so schwer, denn das alte EU-Asylrecht ist tot. Selbst der prominente Völkerrechtler Manfred Nowak beschränkt sich in seiner Kritik am Entwurf auf das unjuristische Argument der "Panikmache".

Und wenn die neuen Sperren funktionieren, dann kann man von der Regierung einiges verlangen: dass sie Asylverfahren beschleunigt, anerkannte Flüchtlinge besser integriert und tausende Syrer direkt aus der Region aufnimmt. Das wäre ein Handeln im Geiste des wahren Asylrechts. (Eric Frey, 14.4.2016)

Kontra: Gefährliche Zeitenwende
von Irene Brickner

Die geplante Novelle markiert eine asylpolitische Zeitenwende: Jahrzehntelang hielt man in Österreich das Prinzip aufrecht, dass die Fluchtgründe von Asylsuchenden geprüft werden, wie es die EU-Asylverfahrensrichtlinie vorsieht. Und als im Bosnienkrieg Tausende vor ethnischen Säuberungen flohen, gewährte man ihnen vorübergehend kollektiven Schutz.

Nun geht das Land zur offenen Flüchtlingsabwehr über: Tritt eine "Sonderverordnung" in Kraft, sollen nicht nur Menschen ohne Asylgründe – Stichwort "Wirtschaftsflüchtlinge" – aus Österreich wieder weggeschickt werden, sondern auch Personen, die aufgrund von Verfolgung von den Asylgerichten Schutz gewährt bekämen. Nur in Fällen, wo andernfalls gegen absolut geltende Schutznormen verstoßen würde – etwa das Verbot, in Folterstaaten abzuschieben -, sollen noch Verfahren geführt werden. Ob das real auch so funktionieren wird, ist freilich unklar.

So setzt sich die Politik über gelebte Praxis in Verwaltung und vor Gerichten hinweg. Argumentiert wird das mit einer Ausnahmesituation: Infolge der 89.000 Asylanträge des Vorjahrs seien öffentliche Ordnung und innere Sicherheit in Gefahr, weitere Asylanträge in hoher Zahl würden zu inakzeptablen Verwerfungen führen.

Tatsächlich wurde Österreich, so wie Deutschland und Schweden, aufgrund mangelnder EU-Solidarität 2015 mit der Fluchtbewegung alleingelassen. Das hat – so weit ist der Regierung beizupflichten – zu großen Belastungen geführt. Doch so unbewältigbar, wie sie in der Novelle nun konkretisiert werden, sind sie angesichts der aktuellen gemäßigten Asylantragszahlen nicht.

Vielmehr erscheinen die Belege für einen "Notstand" in einem – trotz zunehmender Armutsrisiken – reichen Land heuchlerisch, wenn etwa angesichts von geschätzt mindestens 80.000 leerstehenden Wohnungen von einem "nahezu erschöpften" Angebot von Flüchtlingsquartieren aus Privateigentum die Rede ist. Auch beschränkt sich die Darstellung, wie knapp die Betreuungsressourcen seien, auf staatliche Angebote. Der Beitrag von Freiwilligen wird ignoriert. Das ist schlicht beschämend.

Ob derlei "Wir schaffen es nicht"-Argumente als Begründung des "Sonderbestimmungs"-Wegs in der EU Gehör finden werden, ist höchst fraglich. Doch bis man darüber und über die umstrittenen Familienzusammenführungs-Verschärfungen entschieden hat, wird die neue Härte schon vielen Flüchtlingen geschadet haben. Das ist das Problem. (Irene Brickner, 14.4.2016)