Was war das doch für ein schöner Abend für Wiens Sozialdemokraten (nicht nur für sie): Am 11. Oktober hatte die SPÖ die schönste Niederlage eingefahren, die sie sich vorstellen konnte. Fast minus fünf Prozent zwar, knapp unter die 40-Prozent-Marke gefallen, aber damit doch fast neun Prozent vor der zweitstärksten Partei, der FPÖ. Das in allen Umfragen angesagte Duell um den Bürgermeisterposten war abgesagt, Michael Häupl hatte HC Strache klar distanziert. Mit einer Strategie, mit der er seinen Ruf als routiniertester Spitzenpolitiker des Landes (mit Erwin Pröll, trotz des vergangenen Sonntags) wieder bestätigen konnte.

Häupl hatte die große zivilgesellschaftliche Welle der Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge aus Syrien & Co gut genutzt, um Wien als Hort der Menschlichkeit zu positionieren, auch persönlich glaubwürdig: "Hier stehe ich und kann nicht anders." Die Bilder von tausenden Helfern kontrastierten scharf mit jenen von einem Dutzend freiheitlicher Funktionäre, welche vor einem Flüchtlingsheim kleine Kinder und ihre Eltern verschreckten. Mit diesem Kurs gewannen die Sozialdemokraten gegenüber Horror-Umfragedaten zusätzliche fünf bis acht Prozent aus dem liberal/grün/katholischen Milieu.

Schlecht vorgetragen

Wien hörte auch nach der Wahl nicht mit dem auf, was heute auch abfällig als "Willkommenskultur" bezeichnet wird, holte unbegleitete Jugendliche aus Traiskirchen nach Wien, mobilisierte Gelder für zusätzliche Deutschkurse, kritisierte insbesondere (wenn auch formal im TV schlecht vorgetragen) den für Integration zuständigen Außenminister und manche Widersprüchlichkeiten der Innenministerin.

Doch langsam drehte sich die Stimmung. Nicht nur in Wien, nicht nur in Österreich. Der Flüchtlingsstrom riss nicht ab, die Probleme häuften sich, oft auch medial zugespitzt. Die Ereignisse am Kölner Domplatz zu Silvester signalisierten einen Dammbruch in der öffentlichen Stimmung: Plötzlich wurden aus armen Flüchtlingen üble Sexisten, entdeckten patriarchalische Machos ihre feministische Seite, wurden üble Einzelfälle in Bädern nicht mehr unsinnig verschwiegen, sondern ebenso übel verallgemeinert, erschienen Kindergärten gar als Brutstätten islamistischen Terrors. Dazu kam, dass dessen reales Gesicht in Paris oder Brüssel auch hierzulande Angst und Schrecken verbreitete.

Das musste auch auf politischer Ebene Auswirkungen haben, in ganz Europa erstarken rechtspopulistisch/nationalistische Parteien, welche die europäische Integration gefährden. Selbst Angela Merkel, Schutzherrin der "Wir schaffen das"-Kampagne kam unter Druck. Die österreichische Bundesregierung (nicht nur sie, beispielsweise auch jene Schwedens) fährt seit einigen Monaten einen härteren Kurs, der mehr Gewicht auf innere Ordnung/Sicherheit/Akzeptanz und weniger auf Flüchtlingshilfe legt.

Kritik der NGOs

Ins Land sollen nur mehr jene kommen, welche schon Angehörige hier haben und/oder persönliche Verfolgung nachweisen können – und auch das nur bis zu einer gewissen Grenze. Das neue Asylgesetz sieht auch "Notstandsmaßnahmen" vor, welche mit internationalem Asylrecht kollidieren, kritisieren Hilfsorganisationen. All das vor dem Hintergrund versagender europäischer Regelungen und hilfloser nationaler Einzelgänge, provokant deklariert als "Festung Europa".

Natürlich kollidiert(e) diese (internationale) Trendwende vor allem mit dem Kurs der Wiener SPÖ vor und auch noch nach der Wahl. Wobei es auch unabhängig davon schon längere Zeit (mindestens) zwei Gruppen gibt, welche vereinfacht als jene der "Arbeiterbezirke" und jene der "inneren" Bezirke bezeichnet werden. Hinter diesen Gruppenbildungen (auch in die einzelnen Bezirke hinein) verbergen sich ursächlich soziologische Entwicklungen: auch im rasant wachsenden Wien (bald wieder eine Zweimillionenstadt) nimmt die Zahl traditioneller Arbeiter ab, jene der Vertreter der "Mittelschicht" zu.

Vor allem: Längst bedingt die "Klassenlage" nicht mehr automatisch eine bestimmte politische Sympathie, der Wähler von heute bewegt sich in höchst unterschiedlichen "Milieus" mit höchst unterschiedlichen Interessen, wird immer weniger von traditionellen Organisationen/Parteien/Kirchen erfasst, informiert sich über vielfältige neue Kommunikationswege. Kurz: Parteien klassischen Stils mit ihren verdienten, aber überholten Organisationsmustern dünnen aus, das trifft so starke wie die Wiener SPÖ am härtesten. Die kann sich durchaus stolz auf das Erbe der Arbeiterbewegung berufen, eine reine Arbeiterpartei ist sie nicht, kann sie nicht sein – freilich auch die FPÖ nicht, welche derzeit populistisch Proteste von allen Seiten schürt und nutzt.

Dennoch gibt es eben Bezirke mit unterschiedlichem soziologischem "Mix": große "Flächenbezirke" wie Simmering, Floridsdorf und Liesing und kleinere, innerstädtischere, polemisch oft "Bobo"-Bezirke genannt. Kein Wiener Spezifikum, man denke nur an Berlin. Es ist auch keine Wiener Besonderheit, dass in ganz Europa die Sozialdemokratie (und fast alle anderen "Volksparteien") mit dem Erosions- und Fragmentierungsprozess moderner Gesellschaften mehr schlecht als recht umgehen können, da ist die relative Stärke der Wiener SPÖ noch eine positive Ausnahme. Aber sie wird eben nun auch von der Entwicklung erfasst, trotz des vorjährigen – relativen – Erfolges und ihrer offenbar immer noch intakten Integrationskraft Häupl.

Häupl ist gefragt

Vorrangig an ihm wird es nun liegen, ob die (schon seit Jahren existenten) persönlichen Rivalitäten und Kränkungen, die sich wie bei allen "Fraktionierungen" hinter politischen Positionierungen verbinden, am Parteitag voll ausbrechen, oder ob es gelingt, die Debatte sachlich hart, aber persönlich fair zu führen. Es wäre für ihn und die Wiener SPÖ wohl gut, wenn er das einlöst, was er am Abend des 11. Oktober all seinen Wählern mit ihren Erwartungen – auch – an Veränderungen versprochen hat: "Wir haben eure Botschaft verstanden." (Peter Pelinka, 14.4.2016)