Alexandra Föderl-Schmid (li. oben) und Matina Stevis (Wall Street Journal), im Dunkel darunter neben Stevis noch Lucy Marcus, Kolumnistin und Finanzierungsberaterin, und Michael Steen, Mediensprecher der Europäischen Zentralbank.

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Perugia – Brexit, Finanzkrise, Panama Papers: Nie waren Finanz- und Wirtschaftsnachrichten relevanter für die Menschen, sagt Moderatorin Matina Stevis von der US-Wirtschaftsfachzeitung Wall Street Journal. Nie war die Aufmerksamkeit für diese Themen höher. Und nie waren die Entwicklungen der Wirtschafts- und Finanzwelt nie komplexer als heute. Wie also vermittelt man diese Nachrichten und Themen, fragte sich Samstag ein Panel beim Internationalen Journalismusfestival in Perugia (Umbrien).

Finanz-Analphabeten

Daten zum Dilemma lieferte STANDARD-Herausgeberin und -Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid: Die Ratingagentur Standard & Poors bewertet nicht nur die Bonität von Unternehmen. Sondern gelegentlich auch, ob die Menschen da draußen eigentlich verstehen, womit sich die Agentur beschäftigt: Wirtschaft und Finanzen, anhand von Grundgriffen wie Zinsen und Bruttonationalprodukt.

Die große internationale Befragung aus 2014 ergab etwa: Nur 57 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner können mit wirtschaftlichen Grundbegriffen etwas anfangen. In der EU sind das laut "Global Financial Literacy Survey" 52 Prozent – mit klarem Nord-Süd-Gefälle: Im nördlicheren Europa 65 Prozent, die höchsten Werte im Süden haben noch die krisengeprüften Länder Griechenland (49 Prozent) und Spanien (44).

Pisa in Perugia

Eine Sonderauswertung der Pisa-Studie über Finanzwissen von 15- bis 18-Jährigen Schülern in 13 OECD-Ländern ergab: 15 Prozent unterschreiten als Finanz-Analphabeten die niedrigsten Studien-Anforderungen an Kenntnissen in diesem Sektor. Nur zehn Prozent kennen sich nach den Pisa-Kritierien wirklich gut aus. Und, bei aller Aufmerksamkeit für die Materie zwischen Krise und Steuerschonung: Wirtschaftsthemen stoßen gemeinhin laut Föderl-Schmid auf weniger Leserinteresse als etwa Politik.

Der Schluss: "Wir müssen mehr erklären, mehr Zusammenhänge darstellen, ein komplettes Bild liefern." Föderl-Schmid verwies etwa auf Schwerpunktthemen auf derStandard.at, etwa zu Österreichs Banken in Osteuropa, auf Netzwerkgrafiken etwa um den Lobbyisten Peter Hochegger, und auf doppelseitige Zeitungsgrafiken in STANDARD-Schwerpunktausgaben.

Einfach schwierig

Lucy Marcus ist Finanzierungsberaterin, sitzt in diversen Aufsichts- und Verwaltungsräten, sie verfasst Kolumnen für die BBC und für die internationale Medienkooperation Project Syndicate und eine TV-Sendung über Aufsicht und Führung präsentiert sie bei Reuters.

Marcus identifiziert Aufgaben, die einfach klingen und nicht immer so einfach umzusetzen sind: Den Menschen etwa zu erklären, warum Nachrichten für sie relevant sind. Nicht immer offenbart sich ihnen das so nachdrücklich wie etwa in der Griechenland-Krise.

Wofür die Fifa gut ist

Ihre Kolumnen würden ihrer Aufgabe schon einmal gerecht, findet Marcus, wenn sie sich verständlich machen kann: Für ein Thema wie Governance, verantwortungsvolle Unternehmensführung, ließen sich wenige interessieren. Auch wenn die Muster und Typen einander glichen – ob in den Räten und Gremien von Weltkonzernen oder in den Schulausschüssen und Pfarrgemeinderäten. Deshalb schreibt Marcus zur Governance viel über den Weltfußballverband Fifa – da werden solche Führungs- und Aufsichtsthemen gleich ein Stück anschaulicher für ein breiteres Publikum.

"Ich will über Themen schreiben, die Menschen betreffen und beschäftigen", sagt Marcus. Als Radar für diese Themen bedient sie sich vor allem sozialer Medien wie Twitter und Facebook.

Die dunkle Seite der Macht

Michael Steen war Journalist bei der "Financial Times". Er ist "auf die dunkle Seite der Macht" gewechselt, wie Exkollegin und Moderatorin Matina Stevis scherzt, und wurde Mediensprecher der Europäischen Zentralbank. Eine jener Institutionen und Organisationen, die mit ihre Fachsprache, ihren Kürzeln und Spezialbegriffen nicht unbedingt breites Interesse an der Wirtschaftsberichterstattung fördern.

Steen und andere Abteilung der ansehnlich großen EZB-Öffentlichkeitsarbeit müssen erst einmal die EZB selbst erklären. Das weiß Steen spätestens, seit er ein bisschen im Call Center mithörte: "Man glaubt nicht, wieviele Anrufer bei der EZB ein Konto eröffnen möchten." Vielleicht findet man auch deshalb auf der Website seit Kurzem eine Rubrik namens "Explainers", die "in einfachen Worten" und multimedial die Aufgaben der EZB erklärt.

Immer eine Rolle

Einen Twitter-Account hat die EZB, das Medium freilich ist "vielleicht aber noch immer ein Ort eher für Experten, denn für die breite Öffentlichkeit". Auf Facebook, wo die zu finden wäre, ist sie bisher nicht präsent. Die Möglichkeiten direkten digitalen Kontakts mit der Öffentlichkeit lobt sich Steen. Eine Chance für Institutionen, ihre "Daten und Fakten" direkt zur Verfügung zu stellen.

Der Exjournalist vergisst freilich nicht, auf einem Journalismusfestival zu betonen: "Es wird immer eine Rolle für die Medien in diesem Prozess geben." Und welche? Etwa, "die anderen Fragen zu stellen". (fid, 10.4.2016)