Bild nicht mehr verfügbar.

Die Manipulationen beim Ausstoß giftiger Stickoxide bringen dem Wolfsburger Konzern Klagen über Klagen ein. Auch intern sucht VW fieberhaft nach den Drahtziehern.

Foto: dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Wien – Parallelen zum Siemens-Korruptionsskandal im Jahr 2006 sind nicht zu übersehen: Dokumente und Daten im Umfang von 102 Terabyte nimmt die US-Anwaltskanzlei Jones Day im Auftrag des VW-Konzerns unter die Lupe. 450 in- und externe Ermittler sollen Licht ins Dunkel des Diesel-Abgasskandals bringen. Und vor allem: die für den Einsatz der inkriminierten Abgasmanipulationssoftware verantwortlichen Manager und Mitarbeiter aufspüren.

Ungeklärt ist ein halbes Jahr nach Ausbruch von "Diesel-Gate" vor allem die Frage nach den Drahtziehern des im September eingeräumten Betrugs. Zur Aufsichtsratssitzung Ende April soll ein erster Zwischenbericht aus Übersee vorliegen. Das Interesse, die Hauptakteure bei Entwicklung und Einsatz der Emissionsmanipulationssoftware aufzuspüren, ist ein vitales.

Verschwörung?

Denn abseits von möglichen Regressansprüchen des Konzerns gegen die für die Tricksereien verantwortlichen (eigenen) Manager geht es insbesondere um die Klarstellung, ob es sich dabei um eine kleine skrupellose Truppe handelte, oder um eine Verschwörung bis in die Konzernchefetage, wie die US-Behörden argwöhnen.

Letzteres hat Wolfsburg stets in Abrede gestellt, sich aber in Widersprüchen verhakt: Einmal war der Dieselskandal ein "technisches Problem", dann wieder eine "Unregelmäßigkeit".

Stickoxid war tabu

Die Untersuchungen gestalten sich insofern schwierig, als die Beteiligten zwecks Tarnung im internen Schriftverkehr über das Manipulationstool ("defeat device") stets Codewörter benutzten, etwa den Tarnnamen Akustiksoftware. Schlagwörter wie Stickoxid (NOx) waren tabu. Durchsucht werden müssen 1500 elektronische Datenträger von rund 380 Mitarbeitern.

Zum Vergleich eine Größenordnung: Panama Papers umfasst 2,6 Terabyte, bei VW sind es 102 Terabytes.

Klagen häufen sich

Derweil häufen sich die Klagen in der VW-Abgasaffäre. Nicht nur international gehen Kunden gegen Volkswagen und seine Vertriebspartner (Händler) rechtlich vor. Auch in Österreich wächst die Zahl der Klagsfälle. Vorige Woche ist beim Wiener Handelsgericht eine weitere Klagsschrift eingelangt. Darin ficht der Kläger, ein Krankenpfleger, den Kauf seines Neuwagens Audi Q3 2.0 TDI an, den er im April 2013 bei einem VW-Händler in Wien-Donaustadt gekauft hat.

Des Klägers Anwalt Thomas Kainz stützt das Anfechtungsbegehren auf Irrtum, Arglist, Gewährleistung, Laesio enormis und Schadenersatz. Der Kauf des Neuwagens um 40.000 Euro sei rückabzuwickeln (zuzüglich Schadenersatzes und Zinsen in Höhe von 4,0 Prozent).

Frei von Mängeln

Weil der Käufer beim Kauf eines Neuwagens technische Einwand- und Manipulationsfreiheit erwarten dürfe. "Ein Käufer, der einen Neuwagen kauft, darf berechtigt davon ausgehen, dass er ein Auto frei von Mängeln erwirbt, worunter auch Programmierungsfehler und dergleichen, und umso mehr Manipulationen an der Elektronik beziehungsweise Installationen von gesetzlich unzulässigen Komponenten (Abschaltvorrichtungen, illegalen Softwares generell) fallen", heißt es in der Klagsschrift, die dem STANDARD vorliegt.

Irrtum liege auch hinsichtlich einer erforderlichen "Nachrüstung" des Dieselfahrzeugs vor, denn ein Autokäufer dürfe erwarten, dass sein Wagen nicht nach rund drei Jahren zurückgerufen wird, damit er nachgerüstet wird.

Unfallauto

Durch die Nachrüstung vermindere sich außerdem der Wiederverkaufswert, weil der reparierte Wagen – wie bei einem vollständig reparierten "Unfallauto" – auf dem Sekundärmarkt nicht den in der Eurotax-Liste ausgewiesenen Gebrauchtwagenpreis eines altersgemäßen Vergleichsautos ohne reparierten Unfallschaden bringe.

Anwalt Kainz rechnet der Klage seines Mandanten insbesondere deshalb gute Chancen aus, weil der Krankenpfleger vor drei Jahren ausdrücklich kein Diesel-Kfz erwerben wollte, sondern einen Benziner. Dies aufgrund schlechter Erfahrungen mit Rußpartikelfilter und Dieselaggregaten. Der Händler habe ihn unter Hinweis auf den von VW seit 2007 propagierten "Clean Diesel" aber vom Kauf eines Audi überzeugt.

Kein Kommentar

Vom STANDARD mit der Klage konfrontiert, verwies der Händler auf Porsche Austria. Der VW- und Audi-Importeur übernehme die Angelegenheiten der Händler, hieß es in der Geschäftsführung. Ein Sprecher von Porsche Austria bestätigte den Vorgang, bei dem der Händler wohl Beklagter bleibe, aber von Porsche Austria freigestellt werde und einen Anwalt gestellt bekomme. Laufende Verfahren kommentiere man nicht, sagte Sprecher Richard Mieling.

Er stellt in Abrede, dass man beim Passat-Rückruf in Verzug sei. Reparatursoftware und -procedere seien vom deutschen Kraftfahrtbundesamt noch nicht freigegeben. Sorgen, der Treibstoffverbrauch sei nach dem Software-Update höher und die Fahrleistung niedriger, seien falsch. Bei den 1500 umgerüsteten Amaroks habe die Behörde keinerlei Abweichungen attestiert. (Luise Ungerboeck, 9.4.2016)