1500 verschiedene feine Stoffe, ...

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Lederware made in Vienna, ...

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Confiserie nach 80 Jahre alten Rezepturen: Es gibt sie noch, die bunten Farbtupfer im Einheitsbrei der allseits gleichen Handelsketten. Doch sie werden Jahr für Jahr weniger.

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Wien – "Wiens Handel war einmal ein buntes Korallenriff. Doch mittlerweile ist die Korallenbleiche weit fortgeschritten. Und so rasch wird hier nichts Neues nachwachsen." Georg Gaugusch kennt die Geschichte Wiener Unternehmerfamilien wie kein anderer. In mehreren Publikationen hat er ihre Genese und ihren Untergang dokumentiert.

Regelmäßig zieht es ihn raus aus seinem Geschäft auf dem Albertinaplatz in die Archive und Bibliotheken der Stadt. Vorbei an großen Ketten und Luxusmarken, die den Platz kleiner eigentümergeführter Betriebe einnahmen.

Gaugusch ist Biochemiker, Historiker und Experte für feine Stoffe. Seit nunmehr vier Generationen führt seine Familie den Traditionshändler Jungmann & Neffe in der Wiener Innenstadt.

Meterhoch sind hier 1500 verschiedene Stoffballen Kante an Kante geschlichtet. Das dunkle Mobiliar entstammt der Gründerzeit. Farbenfrohe Krawatten, Schirme, und Schals nehmen den 135 Jahre alten Räumen die Schwere. Geschäftsinhaber Gaugusch begrüßt ein paar Kunden und macht es sich auf einem der mächtigen Holztische bequem.

Von den Betrieben seiner Kindheit gebe es fast keinen mehr, sinniert er. Dass sich in den Städten stets die gleichen Handelskonzerne breitmachten, sei ein internationales Phänomen. "Aber in Wien war der Verlust an kleinen, eigentümergeführten Geschäften in den vergangenen zwei Jahrzehnten besonders hoch. Und es folgten kaum neue nach."

Keine geschützte Werkstatt

Gaugusch gibt die Schuld daran der Politik, die kleinen Unternehmern einen Prügel nach dem anderen vor die Füße werfe, von der hohen Sozialversicherung bis hin zu den Registrierkassen. Vieles jedoch liege auch an den Händlern selbst, ergänzt er und spart nicht mit Kritik an den eigenen Reihen.

Viele Betriebe seien mit ihren Kunden älter geworden, um letztlich stehenzubleiben und ganz einzuschlafen. Mit dünnen Kapitaldecken, ohne sich weiterzuentwickeln, hätten viele im kompetitiven Umfeld keine Chance. "Die Wirtschaft kann nicht nur aus geschützten Werkstätten bestehen."

Rückblickend für einen Fehler hält er, dass Österreich nicht früher zur EU ging. "Das Inseldasein hat der Ökonomie geschadet."

"Eine Todsünde"

Auch ungünstige Eigentümerverhältnisse läuteten das Ende etlicher kleiner Händler ein. "Es waren oft einfach zu viele Köche am Werk." Andere hätten sich auf den Vertrieb einer einzigen Marke eingelassen. "Eine Todsünde." Dass sich viele Junge das Geschäft der Eltern nicht mehr antun wollen, kann Gaugusch verstehen. Umso mehr, wenn sich einer mit 50 immer noch als Juniorchef abgestempelt sehe.

Gaugusch stieg vor zehn Jahren im Alter von 30 in den Betrieb ein. Angestellter zu sein, liege ihm nicht, sagt er. Stoffe hätten ihn als Techniker schon immer gereizt. Und da war die Verantwortung für langjährige Mitarbeiter.

Thema Friedenszins

Mit dem Hausherrn konnte man sich auf eine für beide Seiten angemessene Miete einigen, erzählt er. Bis 1994 habe das Unternehmen vom günstigen Friedenszins profitiert, der auch vielen anderen kleinen Händlern, die auf dem freien Markt keine Chance hätten, beim Überleben hilft. Doch letztlich verzerrten diese Altmieten latent den Markt. Sie seien Vermietern gegenüber unfair und sorgten für Unfrieden, räumt Gaugusch offen ein: Es müsse doch Lösungen geben, bei denen keiner den anderen über den Tisch ziehe.

Warum Jungmann & Neffe, der in der Monarchie die Aristokratie mit Stoffen ausstattete, die Jahrhunderte unbeschadet überdauerte? "Die meisten brauchen unsere Stoffe nicht. Aber manche doch, und dafür fahren sie tausend Kilometer weit zu uns." Österreich allein sei dem Betrieb schon immer zu klein gewesen, sagt Gaugusch, und vor Veränderungen habe man sich nie gefürchtet. "Meine Großmutter würde das Geschäft heute nicht wiedererkennen."

Ein Irrglauben sei, dass Kunden auf die Präsenz ewig gleicher Handelsketten bestehen. "Gerade die kaufkräftige Schicht will Einzigartiges und etwas erleben."

Urgesteine gaben auf

Viele gibt es nicht mehr von der alten Handelsgarde. Zu den letzten prominenten Wiener Urgesteinen zählen Herrenausstatter Knize, Hutmacher Mühlbauer und die Schwäbische Jungfrau, eine Institution für feine Wäsche. Musikhändler Gramola hält ebenso die Stellung, wie Schuhmacher Markus Scheer und Feinkost Böhle.

Verhindern können sie das leise Sterben der Einzelkämpfer in der Innenstadt nicht. Jüngst sperrte in der Wollzeile der Traditionshändler Turczynski zu. Nach über 100 Jahren des Bestehens ist auch der Haushaltswarenanbieter Rudolf Waniek am Hohen Markt Geschichte. Erst diese Woche meldete das Spielwarengeschäft Kober in der Wollzeile Insolvenz an. Der 130 Jahre alte und einst am Graben angesiedelte Händler sieht sich großen Online-Konkurrenten und Diskontern nicht gewachsen.

Altmann & Kühne wird von internationalen Marken zusehends eingekreist. Doch die Confiserie lässt sich davon in ihrem denkmalgeschützten Laden am Graben nicht beirren. Seit 1928 ist der Familienbetrieb für seine winzigen Konfekte bekannt: 30 Sorten, nach patentierten Mustern sortiert in kleinen Schachteln, die wiederum das Design der Wiener Werkstätte ziert. Gewogen wird auf einer alten Berkel-Waage, die Einrichtung ist dieselbe wie vor 80 Jahren.

Online-Hoffnung

Die Einmaligkeit sei es, die das Überleben sichere, glaubt Marion Stepan, die das Geschäft führt. Vor 30 Jahren kam sie vom Land nach Wien, um ein Jahr für Altmann & Kühne zu arbeiten. Sie lernte von Verkäuferinnen der alten Schule – und blieb bis heute.

Die Confiserie lebe von ihrem Standort. Sie in anderen Städten zu multiplizieren, nehme ihr den Reiz, ist Stepan überzeugt. Fünf Mitarbeiter erzeugen die Konfekte im zweiten Wiener Bezirk. Fünf weitere sind allein mit dem Einschlichten betraut. Noch einmal so viele wechseln sich im Verkauf ab.

Online wird in alle Welt vertrieben. Die Hälfte der Kunden im Laden sind Touristen. "Jeder zweite, dritte beschwert sich bei uns, dass er in jeder Stadt die gleichen Geschäfte vorfindet", sagt Stepan. Auch all jene kleinen Händler, zu denen es sie selbst einst zog, gebe es mittlerweile nicht mehr. "Dabei bin ich doch noch gar nicht so alt."

Robert Horn zählt zu den Letzten seiner Zunft. Er entwirft und verkauft Lederwaren – handgefertigt werden die Taschen, Geldbörsen und Schlüsselanhänger nicht in Fernost, sondern in Wien.

Kopfschütteln unter Branchenkollegen hatte er geerntet, als er vor 30 Jahren ein Geschäft in einer ehemaligen Hausmeisterwohnung in der Bräunerstraße eröffnete, erinnert sich Horn. Mittlerweile hat er drei Standorte und zwölf Mitarbeiter. Seine Maßarbeit ist international gefragt.

Neues Leben für alte Lokale

An jungen Leuten mit neuen Ideen für Einkaufsstraßen sieht er es nicht mangeln – vereinzelt entwickelten sich gute Initiativen, um leerstehende Geschäftslokale zu beleben, wie etwa in der Gumpendorfer Straße. "Schön wäre es halt, wenn es mehr davon gäbe."

Auf die reiche russische Klientel, auf die Luxusmarken rundum von Louis Vuitton bis Hermès hoffen, wartet Horn nicht. Diese kaufe bei ihm ohnehin nur spärlich ein. Dafür brauche es Prunk und ganzseitige Inserate in der "Vogue", anstelle eines kleinen Hinterhofs, sagt er und schmunzelt. Ein und aus geht bei ihm vielmehr Wiener Kundschaft, die Wert auf Einzelanfertigungen legt.

Für Farbtupfer im Einheitsbrei der Handelsketten sorgt auch Topsy Thun-Hohenstein. Man möge gar nicht glauben, sagt sie, wie viel freien Platz es zwischen großen Konzernen noch gebe. Konzerne, die oft gezwungen seien, ihr Konzept dem gesamten deutschsprachigen Raum überzustülpen. "Wir müssen nur genau hinsehen, uns trauen, Nischen zu besetzen, anstatt uns zu Tode zu fürchten." Sie selbst fand ihre Nische im Wollcafé Laniato.

Alles im Geschäft, das bei der Eröffnung vor fünf Jahren das erste seiner Art in Europa war, dreht sich ums Stricken in geselliger Atmosphäre. Ein Ort der Entschleunigung, an dem Kopflastigkeit Handarbeit weicht, wie Thun-Hohenstein findet. Gerade sehr begehrt unter jungen Frauen: Strickkurse für extrem komplizierte Trachtenstutzen.

Nur sein Hobby zum Beruf zu machen, reiche für eine gute Geschäftsidee jedoch nicht aus, resümiert sie. "Es ist beinhartes Business. So ein bisserl und halbherzig nebenbei spielt es nicht." Wo sie selbst, die weit um die Welt reiste, noch das typische Wien findet: "Am Rochusmarkt, ein Dorf in der Stadt. Oder in Beisln. Diese leben von ihren Eigentümern." (Verena Kainrath, 10.4.2016)