Jan Roos, der Initiator der Abstimmung, schaut sich Mittwochabend die Wahlergebnisse an.

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Die Gegner des Handeslabkommens der EU mit der Ukraine warben Anfang der Woche für ein Nein.

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Den Haag – Die Niederländer sagen Nein zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. 61,1 Prozent der Wähler haben beim Referendum am Mittwoch gegen das Abkommen votiert, nur 38 Prozent stimmten dafür. Die Stimmbeteiligung lag bei 32 Prozent, womit das Referendum auch die vorgeschriebene Mindestbeteiligung knapp erreichte.

Erzwungenes Referendum

Das Referendum war von Europaskeptikern mit Wählerunterschriften erzwungen worden. Formell ist es nur beratender Natur, doch wird sich die Regierung nur schwer über das Ergebnis hinwegsetzen können, nachdem das gesetzliche Beteiligungsquorum von 30 Prozent der 12,5 Millionen Stimmberechtigten übertroffen wurde.

"Wir können das Assoziierungsabkommen jetzt nicht einfach so ratifizieren", sagte Ministerpräsident Mark Rutte zum Ergebnis am Wahlabend. "Das Nein-Lager hat überzeugend gewonnen." EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte im Vorfeld des Referendums vor den dramatischen Folgen eines Neins für ganz Europa gewarnt. Insbesondere könnte das Votum auch den Austrittsbefürwortern in Großbritannien Auftrieb vor dem Brexit-Referendum am 23. Juni geben.

Denkzettel für EU generell

Offiziell ging es bei dem Referendum um die Billigung oder Ablehnung des 2014 unterzeichneten Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Kiew. Die europaskeptischen Initiatoren der Befragung erklärten aber, dass das Verhältnis zur Ukraine für sie nicht im Mittelpunkt stehe: Sie warben für ein Nein der Wähler, um der EU generell einen Denkzettel zu verpassen.

Der Rechtspopulist Geert Wilders bejubelte das Ergebnis als "fantastisch". Es zeige, dass viele Niederländer "die Nase voll von der Europäischen Union" haben. Einer der Initiatoren des Referendums, der Jurist Thierry Baudet, sagte, nun beginne die Diskussion "über eine andere EU".

Amsterdam sagt Ja

Tatsächlich traf das Referendum den Nerv vieler Niederländer, die vor elf Jahren mit einer ähnlich klaren Mehrheit gegen die EU-Verfassung votiert hatten. "Es ist gut, dass es ein Referendum gibt, in dem wir unsere Meinung über Brüssel sagen können", sagte ein 49-jähriger Wähler. Ein 65-Jähriger sagte, das Abkommen sei "nicht gut für die Niederlande". Es gebe bereits "zu viele" EU-Mitglieder. Auffallend war jedoch das Stadt-Land-Gefälle. Mehrere große Städte, unter anderem die Hauptstadt Amsterdam, votierten mit Ja, während es in ländlichen Gegenden zum Teil massive Nein-Mehrheiten gab.

Rutte hatte bei seiner Stimmabgabe in einer Volksschule in Den Haag hervorgehoben, dass das Assoziierungsabkommen der Ukraine dabei helfen solle, "einen Rechtsstaat und ihre Demokratie aufzubauen". Einerseits sollten dadurch in der Ukraine Minderheiten wie Juden und Homosexuelle geschützt, andererseits die "Ränder" Europas stabilisiert werden. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko warb vor dem Referendum um die Zustimmung der Niederländer und schickte dazu sogar Minister in die Niederlande. Die Ukraine dürfe nicht zum Opfer einer "internen niederländischen Debatte über die Zukunft der Europäischen Union werden".

Tusk: Kiew-Abkommen bleibt in Kraft

Ratspräsident Donald Tusk sagte am Donnerstag, dass das Abkommen mit der Ukraine trotz des Ergebnisses in den Niederlanden "weiter vorläufig angewendet" werde. Tusk erklärte aber, dass er in Gesprächen mit Rutte dessen Schlussfolgerungen und Absichten hören wolle. Ein Sprecher von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker teilte lediglich mit, dass dieser "traurig" über das Abstimmungsergebnis sei.

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament, Manfred Weber, fordert nach dem Nein der Niederländer mehr Bürgernähe und -beteiligung in der EU. "Wir müssen Europa demokratisieren", sagte Weber am Donnerstag im Deutschlandfunk. Es müsse Schluss sein mit Entscheidungen in Brüsseler Hinterzimmern. Vielmehr sollten die politisch Verantwortlichen stärker auf die Bürger zugehen, für Europa werben und zeigen, dass sie deren Sorgen ernst nehmen. Ganz besonders gelte dies für Großbritannien, wo die Bevölkerung im Juni über den Verbleib des Landes in der EU abstimmt, erklärte der Deutsche.

Niederländische Zustimmung fehlt als einzige

Die Niederlande, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehaben, haben das Abkommen mit der Ukraine als einziger der 28 EU-Mitgliedstaaten noch nicht ratifiziert. Das Parlament hat bereits seine Zustimmung gegeben. Lediglich die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) von Wilders, die Sozialisten (SP) sowie die Partei für die Tiere (PVdD) riefen zur Ablehnung des Abkommens auf.

Der politische Teil des Assoziierungsabkommen wird seit Ende 2014 bereits vorläufig angewandt, seit dem 1. Jänner auch das darin enthaltene Freihandelsabkommen. Russland hatte das Assoziierungsabkommen scharf kritisiert. Der Konflikt um das Abkommen hatte zum Jahreswechsel 2013/2014 zu gewaltsamen Demonstrationen, dem Sturz des pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch sowie der militärischen Aggression Russlands im der früheren Sowjetrepublik geführt. Der Ukraine-Konflikt kostete auch zahlreiche Niederländer das Leben, die im Juli 2014 an Bord einer über der umkämpften Ostukraine abgeschossenen Passagiermaschine waren. 298 Menschen starben beim Abschuss von Flug MH17 der Malaysia Airlines. (APA, 7.4.2016)