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Aalrutten sind ausgesprochene Kaltwasserfische. Sie laichen im Spätwinter bei Wassertemperaturen zwischen 0,5 und 4 Grad Celsius. Auch ihr Stoffwechsel ist auf Kälte gepolt: Bei 20 Grad Celsius Flusstemperatur nehmen sie kaum mehr Nahrung zu sich.

Foto: picturedesk.com / ANP Kina

Wien – Eine eisige Nacht an der ungarischen Donau. Ein Windhauch rauscht durch das Weidegebüsch und übertönt kurz das Plätschern der Wellen am Ufer. Die Kälte kriecht einem in die Glieder. Es gibt wirklich gemütlichere Orte. Dennoch hat sich ein knappes Dutzend Angler am Fluss eingefunden, die meisten sind Einheimische – sie wissen: Lota lota ist unterwegs.

Die im deutschen Sprachraum als Aalrutten oder Aalquappen bekannten Flossenträger gelten unter Kennern als typische Winterfische. Und sie meiden das Tageslicht. Kein Wunder also, dass die meisten Europäer noch nie ein Exemplar zu Gesicht bekommen haben.

Starker Rückgang

Früher war das ein wenig anders. Als Süßwasserfisch noch Alltagsspeise war, kamen die wohlschmeckenden Aalrutten regelmäßig auf den Markt. Bis vor einigen Jahrzehnten wurden sie sogar öfter im Wiener Donaukanal gefangen. Seitdem jedoch ist Lota lota rar geworden – wenn auch nicht überall. Während in der österreichischen Donau ein starker Rückgang stattgefunden hat, verfügt der Strom in Ungarn noch über gute Bestände. In Deutschland sucht man die Art im Rhein heutzutage meist vergeblich, die Oder dagegen ist ein echter Aalrutten-Hotspot. Die möglichen Hintergründe dieser ungleichen Verteilung sind Gegenstand ausführlicher Expertendebatten.

Das Problem tritt gleichwohl nicht nur in unseren Gefilden auf. Aalrutten haben ein riesiges natürliches Verbreitungsgebiet, das ursprünglich von England über den gesamten Norden Eurasiens und Alaskas bis zur Ostküste Nordamerikas reichte. In den USA und Kanada gehen ebenfalls viele Populationen zurück. Global gesehen ist dies vor allem eine Folge von Lebensraumverlust, meint der Fischereibiologe Martin Stapanian vom US Geological Survey. Staudämme blockieren Wanderwege und zerstören Laichplätze. Solche Effekte beeinträchtigen auch die Bestände vieler anderer Flussfische, aber bei Aalrutten scheint die Situation noch komplexer zu sein.

Lota lota fühlt sich grundsätzlich nicht nur in größeren Fließgewässern wie der Donau wohl. Die Tiere haben eine bemerkenswerte ökologische Anpassungsfähigkeit und bewohnen auch kleinere Flüsse, Bäche und Seen. Man findet sie im Lago Maggiore, dem Bodensee und sogar im Brackwasser des Bottnischen Meerbusens. Einst kam die Art zahlreich in Hollands Poldergewässern vor. Wie kann eine so flexible Spezies aus ganzen Regionen verschwinden?

Wärme könnte eine Rolle spielen. "Die Aalrutte ist ein echter Kaltwasserfisch", sagt Jan Kranenburg, Zoologe der niederländischen Artenschutzorganisation Ravon. Die Tiere laichen im Spätwinter bei Wassertemperaturen zwischen 0,5 und vier Grad Celsius. Höhere Temperaturen beeinträchtigen womöglich die Embryonalentwicklung. Auch der Stoffwechsel ausgewachsener Aalrutten ist offenbar kälteadaptiert.

Einer deutschen Studie zufolge nimmt Lota lota in der Oder in den Sommermonaten, wenn das Flusswasser mehr als 20 Grad Celsius hat, nur wenig Nahrung zu sich. Der physiologische Stress schlägt ihnen wohl auf den Magen. Die Fische zehren während diese Zeit anscheinend von Fettressourcen aus ihrer großen Leber. Im Oktober dagegen steigt ihr Appetit stark an, und die Verdauungsgeschwindigkeit steigt (vgl.: Journal of Applied Ichthyology, Bd. 27, S. 1236).

Sommerfrische in Voralpen

Anderswo machen es sich die Aalrutten leichter – sie gehen in die Sommerfrische. In den Voralpenseen suchen sie bei steigenden Temperaturen das kalte Tiefenwasser auf. Solche Ausweichmöglichkeiten standen früher auch in Flachlandbächen und kleinen Flüssen zur Verfügung, sagt Kranenburg. "Es gab damals mehr tiefe Kolken."

Infolge der Gewässerregulierung sind viele dieser Refugien verschwunden. In den großen Strömen begünstigen Staustufen durch die längere Verweildauer des Wassers die Erwärmung. Möglicherweise liegt hier einer der Gründe für den Aalruttenschwund in der österreichischen Donau. Der Strom musste in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Staustufen verkraften.

Ein noch wichtigerer Faktor dürfte allerdings die Abflussregulierung sein, meinen sowohl Stapanian wie auch Kranenburg. Lota lota laicht in Schwärmen, die Weibchen setzen dabei bis zu drei Millionen winzige Eier pro Muttertier ab. Letztere bleiben nach der Befruchtung zunächst im offenen Wasser, schweben und sinken nach einigen Tagen zu Boden.

Im Futter schwimmen

Es ist wahrscheinlich entscheidend, dass die Eier in Flachwasserzonen landen, sagt Kranenburg. Die frisch geschlüpften Larven brauchen Bereiche ohne Strömung, in denen es im zeitigen Frühling vor Kleinstgetier, Zooplankton, nur so wimmelt. "Sie müssen mehr oder weniger im Futter schwimmen." Nur dann habe die Aalruttenbrut gute Überlebenschancen.

Dort, wo Flüsse einigermaßen frei fließen können, stehen im Frühling oft die Uferwiesen unter Wasser – ideale Kinderstuben für Lota lota. "Mancherorts ziehen die Aalrutten zum Laichen sogar gezielt in die Nebengewässer, damit ihre Eier später stromabwärts zu diesen Feuchtgebieten getragen werden", berichtet Kranenburg. Leider sind solche Bedingungen in vielen Flusssystemen heute nicht mehr gegeben. Die natürlichen Strukturen fielen dem Regulierungswahn zum Opfer.

Dennoch gibt es Hoffnung. "Die Aalrutte erlebt hierzulande gerade eine Renaissance", sagt der Gewässerökologe Gerald Zauner vom Beratungsbüro EZB in Wien. Vor allem in der oberösterreichischen Donau und in der March werden immer mehr Exemplare gefangen. Zum Teil ist dies wohl auf intensiven Besatz mit nachgezüchteten Tieren zurückzuführen. Es scheint fraglich, ob die Fische in der verbauten Donau Fortpflanzungserfolg haben, sagt Zauner. In der March jedoch könnte es anders sein. Sie wird nicht gestaut, und die vor einigen Jahren gestarteten Renaturierungsmaßnahmen an den Uferzonen zeigen Wirkung. Davon dürfte nicht nur Lota lota profitieren. (Kurt de Swaaf, 6.4.2016)