Drei wägen Für und Wider ab (mit Karin Lischka, Mitte).

Foto: Robert Newald

Wien – Blinde Flecken in unserer Debattenkultur entlarvt am besten der sprichwörtliche Kindermund. Die Produktion "Der Junge wird beschnitten" hat wunderbar Fahrt aufgenommen. Befürworter wie Kritiker der Beschneidungspraxis kommen ausführlich zu Wort im Volx/Margareten – Erstere vielleicht ein bisschen mehr. Aber das liegt in der Natur der Sache. Weder wird man ein etwa fünftausend Jahre lang geübtes (jüdisches) Ritual für blanken Unsinn erklären wollen noch aber Einwände abtun, die das Recht von Buben auf körperliche Unversehrtheit propagieren.

Das kleine Wortoratorium von Anja Salomonowitz umschifft alle Klippen. Die Schauspielerin Karin Lischka schlüpft nacheinander in diverse Rollen. Sie gibt Frauen, die von Skrupeln geplagt werden, weil der Penis ihres Neugeborenen unters Messer soll. Man erhält wohldosierte Proben des ehrwürdigen, nach Welthaltigkeit duftenden Dokumentartheaters. Man strapaziert fleißig die Nackenmuskulatur, weil man mit dem Nicken gar nicht nachkommt und über die Ausgewogenheit des Abends dennoch Bauklötze staunt.

Neun Kinder flankieren Lischka. Sie fungieren als fein nuancierender Chor. Es ist brüllend komisch, einen schätzungsweise Zehnjährigen als Chirurgen daherreden zu hören. Man scheut sich naturgemäß, von "Schnitttechnik" zu sprechen. Aber genau die Verklammerung der Szenen geht der Filmerin Salomonowitz trefflich von der Hand.

Das Anekdotische wird ins Allgemeine überhöht. Umgekehrt fällt die Prätention pseudorationalen Geredes von vornherein weg. Man muss die Frage, ob die Vorhaut Jesu Christi mit in den Himmel aufgefahren ist, auch als theologisch interessierter Mensch nicht wichtiger nehmen, als sie ist. Der kurze, klare Abend steht unterm linken Banner des Verfremdungsaspekts. Man schüttelt "Gründe" durcheinander, die man schon der Höflichkeit wegen alle für "gute" erkennt. Den unbedingten Mehrwert erzeugt die kindliche Offenheit. Buben- und Mädchenrollen werden getauscht, mosaische und muslimische Positionen erörtert. Die karge Bühne von Katharina Heistinger tut ein Übriges, um von den Argumenten nicht abzulenken.

Grinsen im Gesicht

Immer wieder huscht ein Grinsen über die Gesichter der Kleinen. Man lernt – mehr noch als über das Hand-an-den-Penis-Legen – eine Menge Bedenkenswertes über die Art und Weise, wie stark unter Druck stehende Kulturen wie die jüdische ihre Selbstbefragung organisieren. Dazu poppt und pluckert reizvoll die Laptopmusik von Bernhard Fleischmann. Und man muss über die Dünkel von uns Erwachsenen schmunzeln.

Der Höhepunkt dieses im besten Sinne aufklärerischen Abends, der seine Aussagen obendrein mit Projektionen, etwa von Stammbäumen, stützt: Ein Mädchen, das vielleicht acht Lenze zählt, ergreift das Wort. Und ihre Rede geht so: "Also, ich sag dir was, bei Lacan ist der Phallus ja das Zentrum der Macht ..." Ein Theaterabend, entzückend real. (Ronald Pohl, 5.4.2016)