"Reproduktionstechnologien eröffnen eine unglaubliche Menge an unbearbeiteten Themen hinsichtlich der Autonomie des weiblichen Körpers", sagt die britische Autorin Laurie Penny. Sie ist eine der wichtigsten Stimmen des jungen Feminismus.

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Laurie Penny
Babys machen und andere Storys
Aus dem Englischen von Anne Emmert
Nautilus Verlag 2016
176 Seiten, 19,90 Euro

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STANDARD: Biologie sei eine Tragödie, schreiben Sie. In Ihrem neuen Buch "Babys machen" treffen liebevoll zusammengeschweißte Babyroboter auf interstellare Föderationen. Welche Räume eröffnet Science-Fiction?

Penny: Ich war schon immer ein großer Science-Fiction-Fan, und ich schätze die Tradition sehr, über feministische Science-Fiction zu diskutieren. Das ist ein Aspekt, den ich mit diesem Buch würdigen möchte. Ich weiß, das ist in mancher Hinsicht ein wenig oldschool, aber dennoch keine schlechte Sache. Science-Fiction ist eine großartige Möglichkeit, um herauszufinden, inwiefern Technologie unsere Politik verändert. Das zu diskutieren finde derzeit besonders dringend.

STANDARD: Wer profitiert von Reproduktionstechnologien?

Penny: Frauen haben bereits enorm von Reproduktionstechnologien profitiert. Das ist ein Grund, weshalb man sich so sehr dafür interessiert, den Zugang für Frauen zu beschränken. Mit dem Aufkommen empfängnisverhütender Technologien und sicheren Methoden der medizinischen Abtreibung hat sich vieles verändert. Komplett verändert hat sich, was es heißt, ein Leben in einem weiblichen Körper zu führen – und das ist das große Verdienst der Reproduktionstechnologien. Auch politische Entscheidungsträger vermochten das nicht zu schmälern. Es ist immer wieder wichtig nachzudenken, was dahintersteckt, wenn Leute sich gegen das Recht der Frauen, über ihren Körper selbst zu bestimmen, starkmachen.

STANDARD: Denken wir an die Leihmutterschaft – hat dieses Thema für Sie auch eine soziale Dimension?

Penny: Ja, aber nicht die Technologie an sich, sondern ihre praktische Anwendung ist problematisch. Leihmutterschaft markiert derzeit einen extrem spannenden Grenzraum. Die Gesetze dazu sind in jedem Land unterschiedlich. Ich denke, das eröffnet eine unglaubliche Menge an unbearbeiteten Themen hinsichtlich der Autonomie des weiblichen Körpers und dessen, welche Wahlmöglichkeiten uns in einer patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft zur Verfügung stehen. Wenn eine Frau sich dafür entscheidet, ihren Uterus an eine reichere Frau zu vermieten, gibt ihr das mehr Handlungsmacht oder weniger? Das wirft ein neues Licht auf die gesellschaftlichen Handlungsspielräume. Aber nochmal: Hier sehen wir, dass Technologie nicht gut oder schlecht ist. Ihre praktische Anwendung wird von der Politik mitgestaltet. Auch im Falle von Verhütung und Abtreibung: Seit vielen, vielen Jahren verfügen wir über die Technologien, um Frauen hinsichtlich ihrer reproduktiven Freiheiten den Männern gleichzustellen, aber dafür gibt es nicht den gesellschaftlichen Willen. Unser sozialer Fortschritt hinkt unserem technischen Fortschritt beträchtlich hinterher.

STANDARD: Apropos technologischer Fortschritt: Welchen Einfluss haben soziale Medien gegenwärtig auf feministische Debatten?

Penny: Der Einfluss der sozialen Medien und des Internets betrifft alle Bereiche. Einer der Gründe, warum wir es derzeit mit einem Backlash zu tun haben, liegt darin, weil die sozialen Medien feministische Ideen so heftig pushen können. Die Tatsache, dass Männer Frauen in den sozialen Medien ständig belästigen, ist kein Grund für weniger Feminismus im Internet. Auch hier geht es um die Wahrnehmung von Frauen im öffentlichen Raum. Diejenigen, die Frauen aus der Öffentlichkeit verdrängen wollen, möchten sie auch aus diesen geteilten Räumen verdrängen. Deshalb drangsalieren sie Frauen, schüchtern sie ein und drohen ihnen so lange, bis sie den Raum verlassen. Eine Möglichkeit, dagegen anzukämpfen, ist es, sich nicht verdrängen zu lassen, das Recht behaupten, zu bleiben – wütender und entschiedener zu werden und sich dabei gegenseitig mehr zu unterstützen.

STANDARD: Sexismus ist gegenwärtig, das zeigt auch die aktuelle Debatte über #imzugpassiert. Solche Debatten auf Twitter – wie #ausnahmslos, die sie auch unterstützten – können einerseits sehr gut verdichten, bieten andererseits aber nur limitierten Raum für Argumente.

Penny: Twitter ist ein unglaublich wirksames Tool für Networking. Aber es bietet bei einer ernsthaften politischen Debatte nicht die Möglichkeit, in die Tiefe zu gehen. Außerdem findet man auf Twitter jede Menge giftiger Trolle. Aber: Es ist ein unglaublich guter Ort, um die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu ziehen, um Newsmeldungen zu platzieren, und auch, um eine Community aufzubauen. Das sollte man nicht geringschätzen.

STANDARD: Inwiefern finden diese im Internet geführten Debatten ihre Resonanz in sozialen, feministischen Bewegungen?

Penny: Die Unterscheidung zwischen dem Internet und dem "echten Leben" ist meiner Ansicht nach nicht mehr relevant. Diese Debatten finden ihre Fortsetzung in der persönlichen Kommunikation und dauern fort in Protestbewegungen. Ich glaube nicht, dass man hier zwischen dem Protest der Leute auf der Straße und einem Onlineprotest, der Leute zusammenbringt, die sich sonst nicht persönlich treffen können, wählen muss. Es ist Platz für beides, am besten, wir nutzen die Vielfalt der unterschiedlichen Taktiken. Es gibt kein Entweder-oder: Internet oder "real world". Der Sozialtheoretiker Nathan Jurgenson verwendet dafür den Begriff des "digitalen Dualismus". Ich denke, das ist auch für den Feminismus relevant. Es ist nicht Internet versus "echtes Leben" – alles gehört zum "echten Leben". Wir verbringen einen Teil unseres Lebens im Internet, und das ist genauso real wie alles andere auch.

STANDARD: Wenn Sie über Feminismus sprechen, ist es Ihnen wichtig, im gleichen Atemzug auch über Antikapitalismus zu reden. Sehen Sie gegenwärtig soziale Bewegungen, denen das ebenso ein Anliegen ist?

Penny: In zunehmendem Maße! Die Occupy-Bewegung hat sich diese Zusammenhänge zu Herzen genommen. In Großbritannien gibt es diese brillante Gruppe Sisters Uncut, eine antikapitalistische, feministische soziale Bewegung, die im Wachsen begriffen ist. Es gibt eine erhöhtes Bewusstsein für feministische Anliegen innerhalb der antikapitalistischen Bewegungen, ein Verständnis dafür, dass Frauenthemen nicht auf nach der Revolution zu verschieben sind – sie sind die Revolution!

STANDARD: Sprechen wir über Kapitalismus und Reproduktion: Selbstausbeutung und schlechtes Gewissen prägen den Alltag vieler Frauen und wirken auch systemerhaltend. Was bräuchte es, um solche Muster zu durchbrechen?

Penny: Es ist unglaublich wichtig zu verstehen, dass wir nicht alles mit einer besseren Einstellung lösen können. Das ist einer der Gründe, warum ich schreibe – auch um das zu vermitteln. Viele der Probleme, mit denen sich Frauen heute konfrontiert sehen, können sie nicht individuell lösen. Das sind systembedingte, strukturelle Probleme. Mutter zu sein, zum Beispiel. Man strampelt sich ab zwischen schlechtbezahlter Lohnarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit. Wenn man daran zerbricht, ist es nicht deshalb, weil man nicht genügend hart gearbeitet hat. Das ist nicht persönlich zu lösen, indem du deine Einstellung änderst. Hier braucht es einen systemischen Ansatz. Manchmal hilft es aber auch schon, wenn man versteht, dass man sich nicht selbst die Schuld geben muss. Diese Einsichten können auch Netzwerke der Solidarität entstehen lassen, statt sich zu isolieren und zu schämen. Der Kapitalismus und das Patriarchat arbeiten mit dem Schamgefühl. Scham ist eine Waffe, die benutzt wird, um Menschen zu isolieren und daran zu hindern zusammenzukommen. Es ist wichtig, das in Angriff zu nehmen. (Christine Tragler, 6.4.2016)