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Reisende aus allen Blickwinkeln zu erfassen: Das ist das Ziel von Kamerasystemen, die verschiedene Körpermerkmale vermessen und so Personen identifizieren sollen.

Foto: Corbis / QMI / Darren Makowichukoto:

Washington/Wien – Nach den Terroranschlägen in Brüssel vor zwei Wochen kursierte in den Medien ein Fahndungsfoto. Es zeigte – etwas verpixelt – die Attentäter am Flughafen mit drei Kofferwagen. Zwei der Täter waren dunkel gekleidet, der dritte trug eine helle Jacke und Hut. Die beiden Ersteren waren binnen eines Tages identifiziert, der dritte Mann wird bekanntlich noch gesucht. Fakt ist: Alle drei Täter waren polizeibekannt. Man hätte also wissen können, dass sich mutmaßliche Terroristen in einem öffentlichen Gebäude aufhalten.

Geht es nach den Sicherheitsbehörden, sollen an neuralgischen Punkten der Infrastruktur wie Flughäfen, Bahnhöfen oder öffentlichen Plätzen künftig Gesichtserkennungssysteme etabliert werden, die Aufnahmen aller Personen machen und mit einer Datenbank abgleichen. Wäre eine solche Technik in Brüssel zum Einsatz gekommen, hätte das System Alarm geschlagen und die Sicherheitskräfte am Flughafen gewarnt. "Achtung, verdächtige Person hält sich in Sektor X auf."

Die US-Grenzschutzbehörde U.S. Customs and Border Protection hat im Rahmen eines Pilotprojekts erfolgreich ein Gesichtserkennungssystem getestet. Die Technik ist seit einigen Wochen am John F. Kennedy Airport in New York in Betrieb und soll langfristig an allen US-Flughäfen implementiert werden. Reisende müssen bei der Sicherheitskontrolle ihr Gesicht frontal von einer Kamera fotografieren lassen, die ihr Objektiv je nach Größe der Person justiert. Eine Software vermisst dann verschiedene Punkte im Gesicht und gleicht die biometrischen Merkmale mit einer Datenbank ab. Stimmen die Merkmale mit dem Ausweis überein, darf die Person weiterreisen.

Bisher ist es ja bei der Einreise in die USA schon so, dass man sich mit Fingerabdrücken und Foto registrieren muss. Diese Gesichtsscans sind aber nur die Vorstufe, eine Folie, auf der dann später Abgleiche erfolgen – also im Grunde genau das, was eine Überwachungskamera auch macht. Damit wird eine Datenbank gespeist. Das Neue an der Technik ist, dass der Abgleich unmittelbar erfolgt und man sich nicht mehr mit seinem Pass, sondern mit seinen biometrischen Daten ausweist.

Hochauflösende Scans

Das Problem ist, dass Terroristen ihr Konterfei nicht freiwillig in eine Kamera halten. Sie versuchen, nicht auf dem Radar der Sicherheitsbehörden aufzutauchen. Auf Überwachungskameras sind sie nur kurz und meistens nur von der Seite zu erkennen. Das US-Militär hat deshalb bereits 2014 eine hochauflösende High-Speed-Kamera getestet, die in der Lage ist, ein Gesichtsbild auch aus schrägem Winkel zu machen.

Das System wurde entwickelt, um Täter in einem Auto zu identifizieren. Es könnte aber auch an Zufahrtsstraßen von Flughäfen installiert werden. "Der hochauflösende Scan kann gedreht und gekippt werden", sagte John Boyd, Direktor der Firma Defense Biometrics and Forensics, damals. Hätte die Technik die Anschläge womöglich verhindern können?

Anil K. Jain, Professor für Computerwissenschaft und Informatik an der Michigan State University, ist einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Gesichtserkennung. Er war Berater der indischen Regierung beim Aufbau des Projekts Aadhaar, bei dem jeder der 1,2 Milliarden Bewohner aufgrund seiner personenbezogenen Daten und biometrischen Merkmale (Gesichtsbild, Fingerabdrücke und Iris) eine zwölfstellige Nummer zugewiesen bekommt.

"Um Gesichtserkennungssysteme einzusetzen, muss man erst einmal wissen, wer der Verdächtige auf der Überwachungskamera ist. Lässt die Person ein Paket zurück, oder verhält sie sich merkwürdig? Das geschieht bis jetzt im Fall einer Attacke im Nachhinein durch manuelles Auswerten des Videos. Wir können das nicht automatisch tun", sagt Jain.

Zudem müsste die Person in einer Datenbank gespeichert und in Echtzeit gefunden werden. Auch das sei nur sehr begrenzt möglich. Wo kein Foto gespeichert ist, kann logischerweise auch kein Abgleich erfolgen. "Der Verdächtige hat vielleicht keine Vorstrafen, also müssten die Polizeibehörden Zugang zu diversen Datenbanken haben, auch nichtkrimineller Natur", sagt Jain.

Das Department of Homeland Security und das FBI pflegen schon länger biometrische Datenbanken mit Gesichtsscans und Fingerabdrücken. Die Biometrically Enabled Watchlist (BEWL) des US-Verteidigungsministeriums enthält 200.000 Einträge von Verdächtigen im Irak und in Afghanistan. Das ist eine ordentliche Grundlage, doch wenn man bedenkt, dass auf Facebook täglich 350 Millionen Fotos hochgeladen werden, nimmt sich die Datenbasis doch eher gering aus.

Das Problem ist, dass die Bildqualität von Überwachungskameras meist zu wünschen übrig lässt und der Einzelne nicht zweifelsfrei zu erkennen ist. "Wenn das Gesicht von einem Schal camoufliert wird, der Verdächtige eine Sonnenbrille trägt oder die Lichtverhältnisse schlecht sind, kann der Beamte den Verdächtigen nicht finden", erklärt Jain. Facebook hat im vergangenen Jahr einen Algorithmus entwickelt, der Menschen auf Fotos auch dann identifizieren können soll, wenn ihr Gesicht nicht eindeutig zu sehen ist – anhand ihrer Frisur, Kleidung, Figur und Körperhaltung. Das könnte auch für die Ermittler ein interessantes Werkzeug sein.

Das Department of Homeland Security forscht derzeit unter Hochdruck an hochauflösenden Videokameras, die Personen aus bis zu zehn Metern Entfernung anhand eines Irisscans erkennen. Diese biometrischen Merkmale sind so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Ein Mitarbeiter der Behörde sagte dem Portal "Defense One": "Wenn jemand die Fluggastbrücke am Airport heruntergeht, können wir sagen: Diese Person wurde authentifiziert, sie darf in die Fast-Track-Lane rechts gehen. Diese Person nicht, sie muss zum Screening-Test nach links." Verdächtige nach links, Rechtschaffene nach rechts. Solche groben Raster führen in der Praxis allerdings schnell zu Diskriminierung und Racial Profiling.

Sensible Daten

Das Problem, das Datenschützer stets monieren, ist, dass biometrische Daten des Gesichts oder der Iris – mithin sehr sensible Daten – ohne Wissen und Einverständnis des Betroffenen erfasst werden. Man kann sein Gesicht nicht löschen. Werden die Daten gehackt, können sie in vielerlei Hinsicht missbraucht werden.

Wenn nun an immer mehr Flughäfen Gesichtserkennung eingeführt wird, gibt es ein systemimmanentes Erfordernis, auch immer mehr Überwachungskameras zu installieren, um die Software mit entsprechenden Daten zu füttern, ein Teufelskreis. Hätte ein Kameranetzwerk, das die Terroristen im Taxi auf dem Weg zum Flughafen erkannt hätte, Leben gerettet? Vielleicht. Doch der Konflikt zwischen dem Versprechen nach mehr Sicherheit und omnipräsenter Überwachung im öffentlichen Leben bleibt ungelöst. (Adrian Lobe, 6.4.2016)