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Demonstranten besprühten mehrere Schilder auf dem Brenner. Dort sollen bald alle Flüchtlinge rückgeschoben werden.

Foto: Reuters / Dominic Ebenbichler

Wien – Nach der Obergrenze ist vor der Obergrenze: So vermeint es zumindest die Bundesregierung, seit die Juristen Walter Obwexer und Bernd-Christian Funk vergangenen Mittwoch ihr Gutachten über die Zulässigkeit eines Asylantrag-"Richtwerts" offiziell präsentiert haben.

Eine Beschränkung der Zahl von Asylverfahren, die Österreich durchzuführen bereit ist, sei rechtens, meinte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) danach. Das hätten die Gutachten ergeben. Eine Gesetzesnovelle ist in Vorbereitung, mit der Schnellverfahren an den Grenzen eingeführt werden sollen, um die in Österreich zu führenden Asylfälle von den nicht zu führenden zu unterscheiden.

Laut Informationen aus dem Innenministerium sollen zu diesem Zweck an den Grenzen Registrierzentren mit entsprechender Infrastruktur errichtet werden – von den Landespolizeidirektionen, bis Mitte Mai oder Anfang Juni. Der knapp bemessene Zeitrahmen weist laut einem Insider darauf hin, "dass auch dieser Plan, so wie schon eine Reihe Ankündigungen der vergangenen Monate, nur schwer in der Realität ankommen wird".

Brenner: alles zurück nach Italien

Aus den Registrierzentren sollen Flüchtlinge, deren Asylverfahren nicht in Österreich geführt wird, in andere Dublin-Vertrags- oder aber sichere Drittstaaten rückgeschoben werden. An der Brenner-Grenze soll das laut Obwexer überhaupt alle ankommenden Flüchtlinge betreffen: Der dort geplante Grenzkorridor beginne im italienischen Sterzing – und ein Passus der Dublin-III-Verordnung besage, dass Anträge, die außerhalb des Staatsgebiets gestellt werden, dem anderen Staat – also Italien – zukämen, erläutert er im Gutachten.

Auch sonst müssten laut Obwexer in Österreich nur noch jene Asylverfahren stattfinden, die aufgrund unbedingt geltender Menschenrechtsnormen – etwa dem Verbot, Menschen in Verfolgerstaaten zurückzubringen – geführt werden müssen. Damit jedoch würde Österreich seine Verpflichtung außer Kraft setzen, alle Asylanträge zu behandeln, die im Staatsgebiet gestellt werden: eine Entwicklung, die den Bestimmungen des gemeinsamen Europäischen Asylsystems ebenso zuwiderlaufen würde wie der Genfer Flüchtlingskonvention.

Landau: "Tabubruch"

Laut Caritas-Präsident Michael Landau wäre das ein "Tabubruch". Obwexer hingegen, der den europarechtlichen Gutachtenteil bestritten hat, hält derlei Maßnahmen für rechtskonform. Auf Grundlage von Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) seien die EU-Mitgliedsstaaten befugt, Handlungen zu setzen, um ihre innere Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten, wenn diese bedroht seien, schreibt er.

Tatsächlich besagt Artikel 72, dass der AEUV als Ganzes "nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit berührt". Doch auch, wenn für diese Belange die Staaten auf nationaler Ebene allein zuständig sind: Die Frage, wann von einem Notstand die Rede sein kann, wird dadurch nicht beantwortet – zumal, wenn die Regelungen in sensible Grund- und Menschenrechtsfragen eingreifen.

Derzeit 100 Asylanträge täglich

"Der Begriff Notstand ist rechtlich äußerst unbestimmt", meint dazu Hannes Tretter, Europa- und Menschenrechtsexperte der Uni Wien. Außerdem sei nicht davon auszugehen, dass Österreich durch die 95.000 Asylanträge 2015 im Inneren tatsächlich bedroht gewesen sei. Zudem – das konzediert auch Obwexer – muss der nationale Notstand aktuell existieren, um einzelstaatliche Maßnahmen zu rechtfertigen. Doch von großem Druck durch ankommende Flüchtlinge kann in Österreich derzeit nicht die Rede sein. Pro Tag suchen rund 100 Menschen hierzulande um Schutz an. (Irene Brickner, 5.4.2016)