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Foto: Reuters/Kilrill Kudryavtsev

Der Kreml hatte die Katastrophe kommen sehen. Schon vor Tagen warnte Wladimir Putins Pressesprecher Dmitri Peskow vor einer bevorstehenden Medienattacke auf die russische Führung. Da hatte der Kreml bereits die Kommentaranfragen des internationalen Recherchenetzwerks zu den Panama-Papieren erhalten. Die Antwort an die Journalisten kam in Form einer Warnung: Sollte das Internationale Konsortium von Investigativjournalisten (ICIJ) falsche Informationen veröffentlichen, die Putin diskreditieren, sei eine Verleumdungsklage nicht ausgeschlossen, sagte Peskow.

Trotzdem schlug die Bombe ein. Von einem Offshore-Geflecht ist die Rede, in das die engste Umgebung des russischen Präsidenten verwickelt ist. Sergej Roldugin, Cello-Spieler am Petersburger Mariinski-Theater und Konservatoriumsprofessor, spielt eine Schlüsselrolle in der Affäre. Roldugin ist nämlich mehr als nur ein guter Musiker. Er ist auch erklärtermaßen seit 40 Jahren ein enger Vertrauter Putins. Er war Taufpate von Putins erster Tochter Maria und gibt dem Kremlchef heute noch ab und zu Privatkonzerte. Roldugin hat stets abgestritten, von dieser Bekanntschaft finanziell profitiert zu haben. "Ich bin kein Geschäftsmann und besitze keine Millionen", sagte er einst im Interview der New York Times.

Zumindest diese Aussage scheint falsch zu sein. Ein ganzes Offshore-Imperium mit einem Milliardenumsatz lief auf Roldugins Namen. Das Geld kam auf drei Wegen: über dubiose, teils rückwirkend vollzogene Aktiendeals mit Aktien der Staatskonzerne Rosneft und Gazprom, über Einzahlungen russischer Oligarchen – in den Papieren werden Verbindungen zu Firmen der ebenfalls mit Putin verbandelten Rotenbergs, aber auch von Stahlbaron Alexej Mordaschow und Ölmagnat Sulejman Kerimow aufgezeigt – und über billige Kredite der zypriotischen Bank RCB. Diese wird von der mehrheitlich staatlichen russischen VTB kontrolliert.

Geld für Skikurorte, Villen

Einerseits ging das Geld für Skikurorte, Yachtclubs und Villen drauf. Andererseits wurden aus dem Offshore-Reich auch strategisch wichtige Aktiva in Russland kontrolliert wie der Lkw-Produzent Kamaz, Lada-Bauer Avtovaz und der russische Monopolist für die Verteilung von Fernsehwerbung, Video International.

Fraglich ist, wozu ein einfacher Musiker solche Aktiva braucht, zumal alle Transaktionen über die Bank Rossija, geführt von einem weiteren Putin-Intimus, dem Milliardär Juri Kowaltschuk, liefen. Die an den Recherchen beteiligte kremlkritische Nowaja Gaseta charakterisierte Roldugin im Zuge der Panama-Ermittlungen daher als "Schatzhüter" Putins. Putins Name selbst fällt nicht.

Belastet werden unter anderen Ex-FSB-Chef Nikolaj Patruschew, Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew sowie mehrere Abgeordnete der Duma und des Föderationsrats. Auch Peskows Gattin Tatjana Nawka soll bis November 2015 auf den Britischen Jungferninseln eine Offshore-Firma besessen haben. Peskow nannte die Enthüllungen daher eine CIA-Aktion.

Auch wenn andere Prominente weltweit betroffen sind, sei das Ziel "offensichtlich unser Präsident, besonders vor dem Hintergrund der bevorstehenden Parlamentswahl und längerfristig der in zwei Jahren anstehenden Präsidentenwahl", sagte Peskow. Der Kremlsprecher zeigte sich enttäuscht. Viel Neues hätten die Papiere nicht zutage gefördert: "Ich habe qualifiziertere Ergebnisse der Arbeit dieser journalistischen Vereinigung erwartet."

Poroschenko im Zwielicht

Auch die Leiterin des Korruptionsausschusses der Duma, Irina Jarowaja, sprach von einem "verlogenen Beitrag", der Teil des westlichen Propagandakriegs gegen Russland sei. Die Staatsmedien ignorierten die Affäre daher weitgehend oder konzentrierten sich auf das Kreml-Dementi.

Dabei muss sich auch der in Moskau verhasste ukrainische Präsident Petro Poroschenko unangenehme Fragen gefallen lassen. Wie aus den geleakten Dokumenten hervorgeht, hat sich der Milliardär nach seinem Amtsantritt nicht wie versprochen von seinen Aktiva getrennt und sie zur Verwaltung an einen Blind Trust übergeben. Stattdessen tauchen gleich drei Offshore-Firmen auf, über die er seine Anteile an dem Süßwarenkonzern Roshen restrukturierte. Auch in Kiew fiel die öffentliche Reaktion auf die Veröffentlichung verhalten aus: Das Antikorruptionsbüro Nabu teilte mit, dass es nicht über die Kompetenzen verfüge, gegen Poroschenko ein Verfahren einzuleiten.

Die Radikale Partei von Populistenführer Oleh Ljaschko kündigte nach Bekanntwerden des Skandals immerhin ein Amtsenthebungsverfahren gegen Poroschenko an. (André Ballin, 5.4.2016)