Die Kommunikationswissenschaft muss den Menschen und dessen Verhältnis zu seiner sozialen, kulturellen und symbolischen Umwelt sehen.

Foto: standard/corn, http://www.corn.at

Stephan Russ-Mohl stellt in einem kritischen Kommentar der anderen ("Die Hundertjährige, die sich selbst marginalisiert") zur Publizistik- und Kommunikationswissenschafts-Geschichte fest, dass "die Jubilarin vom Verschwinden bedroht ist". Russ-Mohl ist ein Kenner der Szene, allerdings deutscher Arbeitsmigrant in der Schweiz, was erklärt, dass er es sich nicht verkneifen konnte, die Schweiz und Otfried Jarren, den Leiter der Eidgenössischen Medienkommission, lobend zu erwähnen und den Rest etwas sauer aussehen lassen.

Keine reflexive Interdependenz

In vielem hat Russ-Mohl recht, wenn auch jeweils aus der Perspektive eines Journalismuswissenschafters, der der Praxis der Systemmedien – jener Medien, die in unserem Mediensystem die bestehende Medienordnung begründen und ausmachen – mit entsprechenden Interessen verbunden ist. Vieles, nicht alles, gilt auch für Österreich: Die Wiener Publizistik kommt in den Medien so gut wie nicht (mehr) vor; wenn, dann nur durch Einzelpersonen mit Einzelthemen. Aber das liegt doch auch an den Medien und deren Interesse an einer Wissenschaft, die sie reflektiert. Russ-Mohl erwähnt es kürzer, als es der Sache gerecht würde.

Besonders in Österreich, vor allem Wien, war und ist das Verhältnis zwischen Medienwissenschaft und Medienpraxis (Journalismus) von Klischees und gut gepflegten, oft auch begründeten Minderwertigkeitskomplexen auf beiden Seiten geprägt. Beide dachten und denken, einander nicht zu brauchen. Von einer reflexiven Interdependenz, gerade im Hinblick auf die von Russ-Mohl zu Recht eingemahnten Interventionen für Demokratie und sozialen Wandel im Kontext von Medien und Mediengebrauch, ist nichts zu merken.

Berufsorientierung in Lehre und Forschung

Allerdings ist die Kommunikationswissenschaft eben nicht mehr eine Wissenschaft, die sich der Medienbranche und Medienpraxis so ausschließlich verpflichtet wüsste. Dasselbe gilt für die leidige PR-Branche. Die Ausrichtung von Studienprogrammen auf diese Branche, betrieben mit derselben Engstirnigkeit wie ehedem der Fokus auf Journalismus, halte ich sowieso für eine Fehlausrichtung. Die derzeitige PR-Lastigkeit ist tatsächlich bedauerlich, wie überhaupt die Berufsorientierung des Studiums in Forschung und Lehre. Zumindest ich wollte das nie machen. Aber es gibt sehr wohl die Generalisten unter den Kommunikationswissenschaften, die das Ganze im Auge haben, allerdings aus einer anderen Perspektive und auf einer anderen Ebene der Theoretisierung, als Russ-Mohl das einmahnt.

Russ-Mohl ist ein der konkreten Medienbranche, dem Mediensystem und dem Journalismus verpflichteter Wissenschafter. Wir brauchen das. Dennoch geht es hinter dieser Kulisse um mehr, um eine profundere, den Menschen und dessen Verhältnis zu seiner sozialen, kulturellen und symbolischen Umwelt betreffende Interpretation eines Konzepts: dem der Kommunikation. Es geht nicht um eine Objektbeschreibung. Sondern um die Interpretation der Soziabilität des Menschen und seiner Vergesellschaftungsmuster, betrachtet aus einem und durch ein Konzept von Kommunikation. In diesem Sinne sind der Soziologe Niklas Luhmann und der Philosoph Jürgen Habermas wissenschaftshistorisch relevant, aber lange nicht mehr die Einzigen. Emil Dovifat und alle weiteren Ahnen stehen für die Geschichte des Fachs. Das Fach ist aber längst woanders angekommen: erkenntnistheoretisch sowie thementheoretisch. (Thomas A. Bauer, 6.4.2016)