Soziale Betreuung findet auch abseits der gesetzlichen Normen statt: Franz Kinast – im Bild mit Daniela Feldbacher und Jasmin Kastinger – geht als Ehrenamtlicher jede Woche mit einigen Menschen mit Beeinträchtigung walken.

foto: lebenshilfe salzburg

Salzburg – Vielleicht ist es ja schon überhaupt ein Erfolg, dass das Salzburger Behindertengesetz aus dem Jahr 1981 nun doch novelliert wird. Immerhin habe es vom ersten Anlauf, das völlig unzeitgemäße Gesetz zu novellieren, bis heute vier Soziallandesräte gebraucht, sagt die Sprecherin des Vereins Lebenshilfe, Claudia Tomasini. Die Lebenshilfe betreut aktuell rund 740 Menschen mit besonderen Bedürfnissen im Land Salzburg und ist damit der größte Anbieter für Hilfsleistungen dieser Art.

Die Grünen, seit drei Jahren Juniorpartner in der Landesregierung, verkaufen den Entwurf zum neuen Gesetz jedenfalls als Erfolg. "Damit haben wir einen ganz wesentlichen und dringend notwendigen Schritt in Richtung verbesserter gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geschafft", schreibt die Landtagsabgeordnete Kimbie Humer-Vogl in einer Aussendung.

Die von Humer-Vogl dann aufgelisteten Punkte lesen sich auch tatsächlich wie Teile eines großen Wurfs: Es soll einen Inklusionsbeirat geben, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung sollen eine Qualitätsaufsicht erhalten, und es soll Pilotprojekte für persönliche Assistenz geben. Auch diskriminierende Begriffe wie der "Schwachsinn" sollen im neuen Gesetz nicht mehr vorkommen.

Vernichtende Kritik

Fragt man bei den Experten nach, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Der Schwerpunkt liege "in der Terminologie" aber es gebe "keine tatsächlichen Verbesserungen für die betroffenen Menschen", sagt beispielsweise Alexandra Niedermoser, stellvertretende Bereichsleiterin der gesetzlich eingerichteten Bewohnervertretung für Salzburg und Tirol. Nach wie vor arbeiteten die Salzburger mit einem "medizinisch-defizitorientierten Modell". Von den Ansprüchen der UN-Behindertenrechtskonvention sei man weit entfernt.

Der Inklusionsbeirat beispielsweise habe keinerlei durchgreifende Kompetenzen. Bei der Fachaufsicht wiederum sei ein dialogischer Prozess zwischen Aufsichtsbehörde und Heimträgern vorgesehen aber nicht zwischen Aufsichtsbehörde und betroffenen Menschen.: "Es fehlten klare Regelungen, an wen sich die Menschen im Falle von Problemen in der Institution wenden können." Niedermoser kritisiert auch, dass die persönliche Assistenz für alle im Gesetz nicht verankert sei. Menschen mit besonderen Bedürfnissen "haben nach wie vor keinen Rechtsanspruch auf bestimmte Maßnahmen."

Wohnort vorgeschrieben

Dass es keinen Rechtsanspruch auf bestimmte Maßnahmen gebe, ist auch einer der Hauptkritikpunkte von Lebenshilfe-Geschäftsführer Guido Güntert:"Das zentrale Grundprinzip der UN-Behindertenrechtskonvention – die Selbstbestimmung im Rahmen der Möglichkeiten – spiegelt sich im Landesgesetz in keinster Weise wider." Als Beispiel für die Selbstbestimmung nennt Güntert die Wohnplatzwahl. Auch weiterhin werde Menschen mit Beeinträchtigungen ein Wohnort zugewiesen, Mitbestimmung sei im neuen Gesetz nicht vorgesehen.

Güntert erläutert das im STANDARD-Gespräch anhand eines Beispiels: Ein Mensch ist stark bewegungsbehindert, die ihn betreuenden Eltern können nicht mehr oder sterben. Dann habe die Person zwar einen Rechtsanspruch auf einen betreuten Wohnort, dieser werde aber – ohne Mitsprachemöglichkeit – zugewiesen. Und so kämen eben Menschen in Orte und Gegenden, in denen sie überhaupt keine Sozialbezüge haben, keinen Menschen kennen und oft auch gar nicht hinwollen. Mit den entsprechenden psychosozialen Folgen. "Dieser Skandal währt schon Jahrzehnte", sagt Güntert, und werde im neuen Gesetz auch fortgeschrieben.

Geringfügig beschäftigt

Auch im Bereich Beschäftigung hakt es gewaltig. Alle Lebenshilfe-Klienten, die bei Firmen angestellt werden, könnten das nur auf auf geringfügiger Basis machen, sagt Tomasini. Würden sie mehr verdienen, würden sie aus der Behindertenbeihilfe des Landes fallen. Diese Konstruktion führe dazu, dass die meisten Lebenshilfe-Klienten nur für ein Taschengeld von etwa 100 Euro im Monat arbeiten können. 200 der 740 von der Lebenshilfe Betreuten sind so bei Firmen oder Gemeinden tätig – nur unfallversichert, ohne sonstige sozialversicherungsrechtliche Ansprüche.

Trippelschritte zur Verbesserung

Der grüne Soziallandesrat Heinrich Schellhorn selbst räumt in einer ersten Reaktion auf die Kritik ein, dass ein neues Gesetz "längst überfällig" sei. Das sei aber so lange nicht sinnvoll, wie die Partner sich nicht an den Kosten beteiligen würden, spielt er den Ball an die Gemeinden weiter. Sein Stil sei eben "eine Schritt-für-Schritt-Politik".

Die Schritte zu einer Verbesserung der Situation bleiben damit aber wohl bis auf weiteres Trippelschritte. Das Pilotprojekt für eine persönliche Assistenz dürfte nach derzeitigem Planungsstand gerade einmal 20 Personen umfassen. (Thomas Neuhold, 4.4.2016)