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Sowjetfreund Brecht erhält 1955 den Lenin-Friedenspreis durch Konstantin Fedin (re.) überreicht.


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Autor Uwe Kolbe: dem Idol BB am Zeug geflickt.

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Wien – Der Untergang des Sozialismus in Osteuropa hat der dichterischen Sprache Bertolt Brechts (1898-1956) nichts anhaben können. Auch solche Leser, die nicht in das Lob des Kommunismus einstimmen, können das gleichnamige Gedicht für seine Einfachheit ins Herz schließen. "Er ist vernünftig", heißt es da, "jeder versteht ihn. Er ist leicht."

Um die Leichtigkeit eines solchen Verses beneidet der ostdeutsche Autor Uwe Kolbe, Jahrgang 1957, seinen Vorgänger. Kolbe attestiert dem berühmten BB eine Autorität, die so nur ein anderer großer Erneuerer der deutschen Schriftsprache besaß: Martin Luther.

Kolbes soeben erschienene Streitschrift Brecht gleicht am ehesten einem Tanz auf dem Hochseil. Ihm und allen anderen Nachgeborenen in der DDR habe Brecht die Farbe Grau nahegebracht. Grau sind die Fotografien, die einen rasch alternden Dichter von Weltformat zeigen, der 1948 in die sowjetisch besetzte Zone nach Ostberlin reiste.

Die DDR wird Brecht – wohlweislich Inhaber eines österreichischen Reisepasses – nicht mehr verlassen. Er gründet ein Theater und revolutioniert die Aufführungspraxis vor allem der eigenen Stücke. Widerworte gegen das bornierte SED-Regime lässt er klammheimlich in der Schreibtischschublade verschwinden. Brecht, so rekapituliert es Kolbe in seinem anregenden Essay, hat seine Wahl ein für alle Mal getroffen. Der ehemals halbstarke Bänkelsänger aus Augsburg begegnet dem Kapitalismus auch in der geläufigen Ausprägung der bürgerlichen Demokratie mit unversöhnlichem Hass. Den Stalin'schen Terror übergeht er. Sarkastische Anmerkungen über den "verdienten Massenmörder des Volkes" versteckt er vor den Verwaltern des Mangels im realen Sozialismus.

Kolbe ist sich selbst nicht recht im Klaren. Kann man den Sprachkünstler Brecht retten, indem man den Ideologen gleichen Namens auf dem Misthaufen der Geschichte ablegt? Kolbe, selbst Heinrich-Mann-Preisträger, gelangt zu einer verblüffend anderen Auffassung. Er misst Brechts Effekt an der Vorbildwirkung auf nachfolgende Generationen.

Womit er auf das eingangs zitierte Lob des Kommunismus zurückkommt. Dort heißt es, im Tone des Liedes: "Die Ausbeuter nennen ihn (den Kommunismus, Anm.) ein Verbrechen." Kurzes Innehalten. Es folgt der kleine, wie ein Scharnier fungierende Vers: "Aber wir wissen:" Erwartbarerweise wird von Brecht gewusst, dass der Kommunismus selbst eben kein Verbrechen ist, sondern angeblich das "Ende der Verbrechen" bezeichnet. Das steht im folgenden Vers und ist so leicht widerlegbar wie alle Bekundungen einer vorgefassten Meinung.

Wer aber sind "wir", die zusammen mit Brecht zu der nämlichen Auffassung gelangt sein sollen? Es sind eben nicht die werktätigen ostdeutschen Massen, schon gar nicht die Mitwirkenden des Volksaufstandes von 1953. Kolbe, selbst ein Lyriker von Rang, macht mit verblüffender Offenheit deutlich, dass die Obszönität der Brecht'schen Behauptung im Plural des "wir" versteckt ist.

"Wir", das war die handverlesene Schar jener DDR-Intellektuellen, die sich der herrschenden Clique der DDR-Machthaber als "kritische" Begleiter andienten. In immer neuen Verklausulierungen gebrauchten die Vertreter ostdeutscher Dichterschulen das Zustimmung signalisierende "wir". Andere Nachzügler wie Heiner Müller kopierten den Habitus ihres grau leuchtenden Vorbilds bis hin zu dessen Rauchgewohnheiten.

Man möchte Müller, aber auch Volker Braun oder Wolf Biermann vor Kolbes Polemik in Schutz nehmen. Doch der Einspruch bleibt wesentlich. Niemand vermochte "Vater" Brecht durch Nachahmung zu überwinden. (Ronald Pohl, 4.4.2016)