Der Wohnbau in der Seestadt Aspern musste noch einen mühsamen Genehmigungsprozess durchlaufen. In Zukunft soll das einfacher gehen.

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Wien – Am Donnerstag hat der Wiener Landtag die umstrittene Novelle der Wiener Bauordnung abgesegnet. Der Novelle ging ein umfassender Protest sowohl der Oppositionsparteien als auch der Wirtschaftskammer voraus.

Konkret wird die dringend erforderliche Wohnraumbeschaffung, insbesondere für Flüchtlinge, zum Anlass genommen, um generell vereinfachte Genehmigungsverfahren für temporäre Bauten der öffentlichen Hand einzuführen. Dies ist der wesentliche Kritikpunkt. Anders als in anderen Bundesländern wird ein vereinfachter Tatbestand für die Unterbringung einer größeren Personenanzahl bei eingetretenen oder bevorstehenden Ereignissen geschaffen, der nur dann zur Anwendung kommt, wenn die öffentliche Hand Projektwerber ist. Privatunternehmen können diese Vereinfachungen bei Verfolgung desselben Zweckes hingegen nicht geltend machen.

Die Vereinfachungen liegen insbesondere im Ausschluss bzw. zumindest der Beschränkung von Nachbarrechten sowie der Zulässigkeit der Abweichung von der Flächenwidmung. Selbst wenn keine "Wohnwidmung" vorliegt, sollen Wohnbauten möglich sein.

Vielfältige Bedenken

Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Regelung sind vielfältig. Zunächst besteht ein Spannungsverhältnis mit dem Gleichheitsgrundsatz. Adressat der Regelung ist nämlich nur die öffentliche Hand, nicht hingegen Private. Auch das Recht auf ein faires Verfahren wird durch die Einschränkung der Nachbarrechte ausgehöhlt.

Ferner bestehen auch Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip. Unseres Erachtens liegt ein Verstoß gegen das Determinierungsgebot vor. Der Ausnahmetatbestand ist derart schwammig formuliert, dass für den Betroffenen nicht voraussehbar ist, wann dieser zur Anwendung kommt.

Der Verfassungsgerichtshof hat mehrfach festgehalten, dass sich Inhaber bestehender Anlagen im Bauverfahren gegen die Errichtung von Wohnbauten in der Nachbarschaft wehren können. Es sollen nicht nur bestehende Bauwerke vor neuen Immissionsquellen geschützt werden, sondern – aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen – Fälle vermieden werden, in denen eine Immissionsquelle bereits besteht und erst durch die Errichtung von Wohnhäusern ihre beeinträchtigende Wirkung entfaltet.

Dazu wurde in der Wiener Bauordnung eine eigene Bestimmung eingeführt. Wenn diese Bestimmung nicht direkt zur Anwendung kommt, gilt dieser Grundsatz verfassungsrechtlich weiter. Unseres Erachtens können sich Anlageninhaber direkt auf die Judikatur des Höchstgerichtes stützen.

Europarechtliche Bedenken

Gegen die Novelle sprechen auch europarechtliche Gründe: Nach der Aarhus-Konvention, die Teil des EU-Rechts ist, muss die betroffene Öffentlichkeit bei umweltbeeinträchtigenden Bauprojekten beteiligt werden und Zugang zu Überprüfungsverfahren bekommen. Die nunmehrige Regelung steht in einem klaren Widerspruch zu diesen Vorgaben.

Weiters bedarf die Erstellung bzw. Änderung von gewissen Raumordnungsplänen und -programmen mit umweltrelevanten Auswirkungen einer Umweltprüfung samt Öffentlichkeitsbeteiligung nach der Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (SUP-Richtlinie). Dies hat im Zuge des Widmungsprozesses zu erfolgen. Wenn nunmehr der Widmungsprozess ausgeschaltet wird, indem ohne Umwidmung plötzlich Wohnbauten in einer dafür nicht vorgesehenen Widmungskategorie möglich sind, werden diese europarechtlichen Vorgaben konterkariert.

Schließlich bestehen auch noch nach der EU-Abfallrahmenrichtlinie Vorgaben zur Vermeidung von Abfällen, das sogenannte (Abfall-)Vermeidungsprinzip. Wenn nunmehr teilweise massive Bauwerke mit einer stark eingeschränkten Bewilligungs- und Nutzungsdauer errichtet werden, ist die logische Folge, dass diese nach Ablauf der Frist, insbesondere wenn die entsprechend erforderliche "Wohnwidmung" fehlt, abgerissen werden müssen. Dadurch entsteht Bauschutt. Dieses Vorgehen widerspricht dem Prinzip der Abfallvermeidung.

Die Praxis wird zeigen, ob die Novelle der Wiener Bauordnung, deren Ziel die wichtige und akut erforderliche Wohnraumschaffung ist, aufgrund ihres rechtlich bedenklichen Fundamentes, einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhält. (Wolfram Schachinger, Wen Wei Xu, 4.4.2016)