Regisseurin Anja Salomonowitz mit zweien ihrer Schützlinge, die in "Der Junge wird beschnitten" Texten über Beschneidung einen anderen, oft auch komischen Drall geben.

Foto: Robert Newald

Mit Musiker Bernhard Fleischmann

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Anja Salomonowitz gibt Feedback.

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Karin Lischka mit Kindern.

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Drei Darsteller tauschen sich auf der Bühne über das Ritual der Beschneidung aus. Für den ersten ein klarer Fall von Routine: Schon oft sei er in die nahe gelegene Synagoge zu einer Beschneidungsfeier gegangen, um ein neues Mitglied der Gemeinde zu begrüßen.

Der in der Mitte erinnert sich an einen verstörenden Fall in London. Man nahm das Würmchen der Mutter weg, erzählt er und bewegt dabei seine Finger wie ein solches Tier: "Dann schneiden sie ihm in den Schwanz, und der Beschneider nimmt den Schwanz in den Mund, um das zu desinfizieren." "Und?", fragt der andere.

Die Regisseurin unterbricht an dieser Stelle die Probe. "Nochmals!" Das Zusammenspiel von Sprache und Gestik hat sie noch nicht überzeugt. In diesem Moment platzt es aus dem dritten Darsteller hervor – dem kleinsten, der bis dahin still auf seinem Stockerl stand: "Ich mag auch endlich meinen Text sagen!" Sein Anteil ist nicht unwesentlich. Es geht um eine Vorhaut, die in einem Blumentopf vergraben wurde.

Wenn man mit Kindern arbeitet, müsse man mit Unwägbarkeiten rechnen, weiß Karin Lischka, die einzige erwachsene Schauspielerin in "Der Junge wird beschnitten", die darin gleich viele unterschiedliche Figuren verkörpert.

Die Filmemacherin Anja Salomonowitz hat mit ihr und neun Kindern zwischen sieben und 13 Jahren für ihre erste Theaterproduktion zusammengearbeitet. Alles dreht sich um den Akt der Beschneidung. Premiere ist am Sonntag im Volx/Margareten. Die Basis des Stücks: Interviews mit Elternteilen, Befürwortern wie Skeptikern sowie Experten.

Laiendarsteller

Ein dokumentarisches Verfahren, das die 39-jährige Wienerin schon in ihren Filmen "Kurz davor ist es passiert" und "Die 727 Tage ohne Karamo" angewandt hat. Laiendarsteller performen Aussagen, die zwar nicht von ihnen stammen, sie jedoch betreffen.

Nach Frauenhandel und Scheinehe befasst sich Salomonowitz nun mit einem weiteren polarisierenden Sujet: einer Tradition, die in jüdischen und muslimischen Familien gleichwohl schon lange als Initiationsritus fungiert.

Die Debatte um Beschneidung, die im Sommer 2012 zunehmend erregter auf Kommentarseiten geführt wurde – Anlass war ein mögliches Verbot in Deutschland –, war einer der Ausgangspunkte für die Arbeit: "Damals sind viele alte Ressentiments wiederaufgetaucht", so Salomonowitz.

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Tatsächlich hatte dies etwas von einem Stellvertreterstreit. Von der Ablehnung kultureller Besonderheiten, die als rückschrittlich eingestuft wurden, war es nicht weit zu Vorbehalten gegenüber ganzen Kulturen, die sich als zu wenig flexibel erweisen.

Indem in "Der Junge wird beschnitten" nunmehr Kinder Argumente dieser Debatte wiederholen, ändern sich deren Konnotationen. "Die Machtverhältnisse drehen sich um", sagt Salomonowitz. "Die Sätze werden abstrakter, und das Absurde der Debatte kann auch hörbar werden." Bei den Proben konnte man sehen, mit welch vielseitigen Effekten: Ein Mädchen, das wie ein siegreicher Feldherr den Fuß auf einem Buben abstützt und mit Inbrunst fordert, das auf Männer zentrierte Beschneidungsritual endlich durch ein Freudenfest zu ersetzen, entbehrt nicht der Komik.

Eine Gratwanderung

Die Idee, mit Kindern zu arbeiten, ohne Kindertheater zu machen, erweist sich als wunderbares Gegengift gegen ideologischen Starrsinn. Eine Gratwanderung, gewiss, schließlich geht es nicht darum, sich über Positionen lustig zu machen. Doch der Trumpf der Kinder ist ihre Direktheit, ja Unverfrorenheit, mit der sie selbst komplizierte oder in unseren Ohren anstößige Sätze bewältigen. "Ich war verblüfft, wie schnell sie den Text verarbeiten und wie gut sie ihn verstehen."

Als Mutter dreier Söhne hat Salomonowitz einige Expertise – "dennoch hat es sich manchmal angefühlt, als würde man Elefanten hinter sich herziehen".

Eine im Theater unübliche Natürlichkeit, ja dokumentarische Qualität soll dem Abend bei aller Choreografie erhalten bleiben. Gemeinsam mit dem Musiker Bernhard Fleischmann wurden aus Textteilen auch Lieder erarbeitet – so erzählt ein zuversichtlicher Song eigentlich von zwiespältigen Gefühlen nach einer Geburt: "An den schönsten drei Tagen meines Lebens habe ich durchgeweint."

Die Musik begleitet das Stück wie "ein Herzschlag", so Fleischmann. Musik und Worte sollen "sich verweben", sagt Salomonowitz, die wiederum nach den Lebensrealitäten hinter rhetorischen Manövern Ausschau hält. Sie will die widersprüchlichen Motive sichtbar machen, aufgrund deren Menschen an Ritualen festhalten, was die Beschneidung für ihre jeweilige Geschichte bedeutet hat.

Und die Vorhaut im Blumentopf? "Kein Aberglaube oder irgendwas." Es fehlte nur der Garten, um sie zu bestatten. (Dominik Kamalzadeh, 2.4.2016)