Das aufgelassene städtische Großheim am Wilhelminenberg wurde von Gewaltopfern, die sich an den Weißen Ring wandten, sehr oft in Zusammenhang mit gewalttätigen Übergriffen genannt.

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Wien – Sechs Jahre nach dem Aufdecken von zahlreichen Fällen sexuellen Missbrauchs sowie Gewalt in städtischen Kinder- und Jugendheimen in der Vergangenheit lässt die Stadt Wien Donnerstagmitternacht die Frist für das Anmelden von finanziellen Entschädigungsansprüchen auslaufen. Am 10. Februar 2016 machte Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) das Fristende öffentlich bekannt. Seither meldeten sich in nur eineinhalb Monaten bis Donnerstagmittag weitere 249 Personen, wie das Büro Wehsely dem STANDARD bekanntgab.

Insgesamt 3.124 Meldungen

Diese Zahl ist insofern beeindruckend hoch, weil sich im Vorjahr pro Monat im Durchschnitt nur 34 Personen bei der zuständigen Opferschutzeinrichtung Weißer Ring, die von der Stadt zur Anlaufstelle für Betroffene erklärt wurde, gemeldet haben. Von 1. Jänner bis 10. Februar 2016 waren es 67 Meldungen. Allein in den vergangenen drei Monaten vor Auslaufen der Frist haben sich damit 316 Personen gemeldet – das sind gleich zehn Prozent der insgesamt in sechs Jahren eingelangten 3.124 Meldungen.

Die rechtzeitig vor Fristende eingelangten Fälle werden bis Ende 2018 abgerechnet. Weitere mögliche Gewaltopfer, die sich ab Freitag beim Weißen Ring melden, haben keinen Anspruch auf finanzielle Entschädigung mehr – was Kritiker der städtischen Entscheidung bemängeln. Betroffene könnten aber immer noch um die Kostenübernahme von Therapien ansuchen, sagte Wehsely. Als Anlaufstelle für Betroffene gilt künftig die Kinder- und Jugendanwaltschaft. Laut dem Ressort von Wehsely steht aber auch der Psychosoziale Dienst den Opfern von Gewalt rechtlich und therapeutisch zur Seite.

Stadt genehmigte 52,53 Millionen Euro

Bisher wurden in 2.108 Fällen Entschädigungsgelder ausbezahlt. Insgesamt waren es mehr als 37,2 Millionen Euro, dazu kamen 9,3 Millionen Euro für Psychotherapie-Leistungen sowie knapp 100.000 Euro an Rechtsberatungen, sagte Marianne Gammer, Geschäftsführerin des Weißen Rings am Donnerstag dem STANDARD.

Der Wiener Gemeinderat hat bislang 52,53 Millionen Euro für Entschädigungszahlungen genehmigt. Sollte wegen der vor Fristende zusätzlich eingetroffenen Fälle das Budget nicht zu halten sein, könnte es auch noch aufgestockt werden. "Es gibt keine Grenze nach oben", sagte Wehsely. Im Durchschnitt erhielten Betroffene rund 17.000 Euro an Entschädigungsgeldern.

In acht von zehn Fällen meldeten sich bei der Opferschutzeinrichtung ehemalige Bewohner von städtischen Kinderheimen oder Einrichtungen der Jugendwohlfahrt, die zwischen 1940 und 1969 geboren wurden. Heimreformen hätten danach, vor allem ab 1980, sukzessive Besserungen gebracht. Seit der Heimreform im Jahr 2000 gibt es in Österreich keine Großheime mehr. Der Schwerpunkt wird seither auf kleine WGs gelegt. Die aufgelassenen Großheime im niederösterreichischen Eggenburg sowie am Wilhelminenberg wurden von Gewaltopfern, die sich an den Weißen Ring wandten, auch am weit öftesten in Zusammenhang mit Übergriffen genannt. (David Krutzler, 31.3.2016)