Andreas Babler will Bürgermeister mit Bodenständigkeit sein: "Ich geh zu Mittag auf ein Kebab, stell mich am Abend beim Heurigen an die Budel."

Foto: Matthias Cremer

Traiskirchen – Andreas Babler wirkt geschlaucht. Schwer lässt sich der 43-Jährige in den beigen Ledersessel im Bürgermeisterbüro fallen, er braucht jetzt einen Espresso. "Die Sache geht persönlich tief rein", seufzt Babler: "Weil es einfach nicht stimmt, dass ich so lebe, wie es jetzt rüberkommt."

Politiker dürfen sich nicht für etwas Besseres halten: Das ist einer von vielen hohen Ansprüchen, die Babler an die eigene Zunft stellt. Gewerkschafter hält er in Penthäusern für ebenso deplatziert wie Parteichefs in Gourmettempeln. "Ich geh zu Mittag auf ein Kebab, stell mich am Abend beim Heurigen an die Budel", sagt er, "mache keinen Luxusurlaub, fahre einen zehn Jahre alten Nissan. Und mein Gewand" – Babler zupft an seinem Hemd – "kaufe ich im Ort beim Vögele."

Der Traiskirchener Bürgermeister weiß: Was ihm bisher als Bodenständigkeit angerechnet wurde, riecht heute nach Doppelmoral. Seit seinem Antritt als Stadtchef im Frühling 2014 hat der SP-Politiker, wie nun ruchbar wurde, ein zweites Gehalt aus öffentlichem Geld bezogen – als Leiter der gemeindeeigenen Stabsstelle. Zuletzt verdiente Babler dank Doppelbezugs, wie er ihn in der Theorie stets für verwerflich hielt, 11.300 Euro brutto im Monat.

Harte Kritik

Dass via sozialer und klassischer Medien reichlich Kritik auf ihn einprasselt, ist für den Prediger der Redlichkeit eine neue Erfahrung. Bisher war es Babler selbst, der nach Kräften austeilte: gegen die Bundesregierung, die den permanenten Notstand im österreichweit berüchtigten Flüchtlingslager von Traiskirchen zu verantworten habe; und gegen das Establishment der eigenen Partei, das die stolze Sozialdemokratie zu ungeahnten Tiefpunkten führe.

"Er war immer schon ein Narrischer", erzählt ein Bekannter aus Jugendtagen, "im Sinne von wilder, radikaler und linker als die anderen." Lange hält sich Babler nicht mit Schule auf, er arbeitet erst als Maschinenschlosser, bald aber als Sekretär der Sozialistischen Jugend. Bis zum Vizepräsidenten der roten Weltjugendinternationalen bringt es der Arbeitersohn aus dem niederösterreichischen Industrieviertel – doch prägen sollte ihn eine lokale Tragödie.

Ab den Neunzigerjahren sperrt der deutsche Mutterkonzern das örtliche Semperit-Reifenwerk, für Vater und Großvater ebenso wie für viele andere Traiskirchener nicht bloß Brötchengeber, sondern ein Stück Heimat, Schritt für Schritt zu. Mit Schaudern erinnert sich Babler, "mit welcher Arroganz" die Industriemanager heimische Spitzenpolitiker abschasselten: "Ich habe nie verstanden, warum die Politik den Gestaltungswillen aufgegeben hat."

Faymann als Hauptschuldiger

Im Kern hält Babler, mittlerweile mit einem an der Donau-Uni Krems absolvierten Studium der politischen Kommunikation aufgerüstet, dies auch heute den Regierenden vor. Die SPÖ verwalte Probleme wie die Arbeitslosigkeit bloß, vom Spardiktat in Europa bis zu fehlenden Vermögenssteuern im Inland vermisst er rote Handschrift – und benennt einen Hauptschuldigen: "Mit Werner Faymann als Parteichef wird die Erneuerung nicht gehen."

Nachhelfen will Babler mit seiner Reforminitiative Kompass, auf den ersten Blick ein Minderheitenprogramm: Als offizielle Unterstützer deklarieren sich Jungsozis und andere Außenseiter in der SPÖ. Doch die heimliche Reichweite ist nicht zu unterschätzen. Gerade in rot-grün-affinen Kreisen der mächtigen Wiener SPÖ genießt der vermeintliche Einzelkämpfer viel Sympathie, es gibt namhafte Sozialdemokraten, die ihn als künftigen Parteichef in Niederösterreich handel(t)en.

Dass er nicht bloß dampfplaudern kann, hat Babler bewiesen: Vor zwei Jahren fuhr er bei seiner Wahl zum Bürgermeister 73 Prozent der Stimmen ein – ohne der Versuchung zu erliegen, die Flüchtlinge im ortseigenen Lager zum Feindbild zu machen.

Konflikt mit Parteispitze

Instanz in der Asylfrage, erster Kanzlerkritiker in der SPÖ: Diese Rollen bescherten Babler in den Medien eine Bedeutung, die weit über die Kragenweite eines Bürgermeisters einer 20.000-Einwohner-Gemeinde hinausgeht. Nicht nur in der vielgescholtenen Parteispitze, wo ihm manche Egomanie unterstellen, glauben Genossen, dass das Echo dem Verursacher etwas zu Kopf gestiegen sei. "Babler ist ein politisches Talent, das seine Grenzen nicht kennt", urteilt ein grundsätzlich wohlmeinender Parteikollege: Dazu passe auch die Affäre um die Doppelbezüge, in die ein Politiker mit Augenmaß nicht schlittern dürfe.

Babler lässt solche Vorwürfe nicht auf sich sitzen. Seit Amtsantritt habe er versucht, den Zweitjob als Stabsstellenleiter aufzugeben, beteuert er. Warum das erst jetzt, nach mehr als eineinhalb Jahren, wo er im Stadtrat einen entsprechenden Beschluss eingebracht hat, gelungen sei? Es sei schwierig gewesen, Personal zu finden, das für den Umgang mit der heiklen Flüchtlingssituation geeignet ist – und als überlasteter Bürgermeister habe er auch wenig Zeit für die Suche gehabt.

Es zermürbe ihn, dass er mit dieser Erklärung in der öffentlichen Meinung außerhalb der Stadt offenbar schwer durchkomme, sagt Babler, wirklich Spaß hat ihm das Interview nicht gemacht: "Das Ganze tut sehr weh." (Gerald John, 31.3.2016)