Franz von Stuck: "Internationale Hygiene-Ausstellung Dresden".


Foto: Sprengel Museum Hannover

Salzburg – Kunst und Werbung stehen in dialektischer Wechselbeziehung. Belege dafür zeigt die Schau Affichomanie – Toulouse-Lautrec und das Plakat um 1900 im Museum der Moderne Salzburg (MdM), eine nostalgische Zeitreise zu den Anfängen moderner Konsumkultur. Damals übernahmen Künstler die Arbeit der Werbegrafiker und wurden mit Mitteln von Jugendstil, Expressionismus und Art noveau zu Pionieren der Plakatkunst. Verbesserte Drucktechniken wie die Lithografie sorgten Ende des 19. Jahrhunderts für eine wahre Plakatinflation im Straßenbild von Paris – an Häuserfassaden, Wänden, Litfaßsäulen. Bald infizierte der "Bildwahn" auch England, die USA, Mitteleuropa.

Affichomanie versammelt 164 farbenprächtige Beispiele, die in der "Galerie der Straße" die visuelle Aufrüstung der Metropolen einleiteten. Mit Konsequenzen: Das Plakat La traite des blanches (1899) von Théophile-Alexandre Steinlen zeigte ursprünglich eine nackte weibliche Brust, ein Zensor ließ diese dann allerdings mit einem Mieder bedecken. Das Sujet – inklusive Zuhälter – sollte Reklame für einen Roman machen, der Prostitution und Mädchenhandel anklagt. Die sozialkritisch-realistische Botschaft verstieß aber offenbar gegen die guten Sitten und den herrschenden gesellschaftlichen Moralkodex.

Dabei waren erotische Frauenakte durchaus keine Seltenheit. Alfons Muchas Salon des cent (1896), das die avantgardistische Zeitschrift La Plume bewarb und in offensichtlichem Kunstkontext stand, blieb unbeanstandet. Gustav Klimt musste aber bei seinem ersten Entwurf für die illustrierte Kunstzeitschrift der Wiener Secession, Ver Sacrum (1898), den nackten Theseus auf Geheiß der Zensur mittels Baum kaschieren.

Die französische Plakatkunst neigte ohnehin zur Freizügigkeit. Henri de Toulouse-Lautrec gehörte zu den Chronisten des Halbweltmilieus am Pariser Montmartre – strikt im Einklang mit der Sentenz von Charles Baudelaire, zeitgenössische Kunst müsse den Alltag abbilden. Der mit ungewöhnlichen Perspektiven und flächigen Bildanlagen experimentierende Toulouse-Lautrec ist mit acht Plakaten im MdM vertreten, darunter ein Schlüsselwerk der Belle Époque, Le Divan japonais (1892).

In Deutschland prägte Thomas Theodor Heine die Plakatkunst wesentlich. Der Mitherausgeber der Münchner Zeitschrift Simplicissimus visualisierte gesellschaftskritische Satire mittels schwarzer Teufel oder Echsen. Überhaupt die Tiermotive: Bei Théophile-Alexandre Steinlen finden sich oft Katzen oder der gallische Hahn. Und wenn bei einer Werbung für Anisschnaps ein Affe von einer Frau an der Hand gehalten wird, fehlt wie bei Klaus G. Richters Entwurf für die Sektkellerei Söhnlein Rheingold, der schwankende und gestürzte Sektflaschen zeigt, auch die ironische Distanz nicht. (Gerhard Dorfi, 30.3.2016)