Der hundertste Geburtstag von Kaiser Franz Joseph wird derzeit mit mehreren Ausstellungen gewürdigt. Sie zeigen alles über die Person des "ewigen Kaisers", von der Kriegserklärung bis zur Unterhose. Aber ist das wirklich alles, was uns zum jahrhundertealten Erbe des habsburgischen Vielvölkerstaates einfällt? Im geplanten Haus der Geschichte wird es jedenfalls so gut wie gar nicht vorkommen.

1945, 1918, 1848. Das sind die Daten, die in der Diskussion rund um das Projekt als Anfang der österreichischen Geschichte genannt wurden. Projektleiter Oliver Rathkolb ist für 1848, das Jahr der bürgerlichen Revolution. Es markiert den Anfang der Demokratie in unseren Breiten, aber auch den Anfang des Nationalismus, der ja ein Kind der demokratischen Bewegung war. So weit, so gut. Aber österreichische Geschichte ohne Maria Theresia? Ohne Prinz Eugen? Ohne Türkenkriege und Gegenreformation? Und vor allem: ohne die europäische Dimension unserer Geschichte, die weit über die Grenzen des heutigen Kleinstaats hinausreicht.

Zur Donaumonarchie gehörten Prag und Budapest, Triest und Lemberg. Man hörte, auch in der Hauptstadt Wien, neben Deutsch auch Tschechisch, Slowakisch, Ungarisch, Polnisch, Ruthenisch, Kroatisch, Slowenisch, Italienisch, Jiddisch und Romanes. Wenn man will, kann man die Spuren dieser Vielfalt heute noch finden. Und in den prächtigen öffentlichen Gebäuden Wiens ist das einstige große Österreich immer noch präsent.

Geht uns das alles wirklich nichts mehr an? Offenbar nicht. Die Eliten der Zweiten Republik rekrutierten sich vornehmlich aus dem geschlossenen kleinstädtisch-kleinbürgerlichen Milieu. Nicht zuletzt deshalb ist unser Geschichtsverständnis kleinösterreichisch. Man könnte auch sagen: provinziell. Vielleicht auch mit ein Grund für das Unverständnis der meisten heutigen Politiker für die Themen Vielfalt und Zuwanderung. Wenn wir an die K.-u.-k.-Monarchie denken, kommen uns vor allem Kitschbilder in den Sinn, Kaiserin Sisi mit Sternenfrisur, Kaiser Franz Joseph und die Schratt, der tanzende Wiener Kongress. Lauter Sachen, die wir vor allem für die touristische Vermarktung brauchen. Für unsere eigene Identitätsfindung sind sie entbehrlich.

Die bisherige Diskussion rund um das Haus der Geschichte hat sich vor allem um die Baulichkeiten gedreht. Hofburg oder Neubau? Inhaltlich war und ist die interessanteste Frage der Umgang mit dem Bürgerkrieg von 1934, über den offensichtlich noch immer kein Konsens herrscht. Darf das Wort Austrofaschismus verwendet werden? War Dollfuß ein Dikta- tor oder ein Patriot? Die Mitschuld der Österreicher an den Naziverbrechen und der Judenvertreibung haben wir mittlerweile akzeptiert.

Andere Länder zeigen in ihren historischen Museen mit großer Selbstverständlichkeit die ganze Bandbreite ihrer Geschichte. Das Deutsche Historische Museum in Berlin bietet ein Narrativ von der Zeit Karls des Großen über Mittelalter, Neuzeit, Dreißigjährigen Krieg, Kaiserreich, Ersten und Zweiten Weltkrieg, Nazizeit bis zu Teilung und Wiedervereinigung. Ein faszinierender Bilderbogen. Und wir? Wie es aussieht, werden wir uns mit einer bescheideneren Ansicht auf unsere Vergangenheit begnügen müssen. Klein, klein, klein. Und ein bisschen langweilig. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 30.3.2016)