In der Asyldebatte sind Politiker häufig weniger Gestalter als vielmehr Getriebene. Der Boulevard gibt seit Monaten den Takt vor, bestimmt, wo es langgeht, und beschenkt jene, die sich am Ende doch noch bekehren lassen.

Außer einer polarisierenden Flüchtlingskrise hat in den letzten Monaten auf politischer und medialer Ebene nicht viel stattgefunden – ein Dilemma für die Regierung. Und ganz gleich, in welche Richtung die Aufmerksamkeit darüber hinaus gelenkt wurde – auf die Arbeitsmarktpolitik, die Sozial- und Familienpolitik oder den laufenden Bundespräsidentschaftswahlkampf -, am Ende degenerierten all diese eigentlich essenziellen Themen doch wieder nur zu weiteren Facetten der nicht zu umgehenden Asyldebatte.

Stimmungsbild

Zieht man Bilanz und lässt die vergangenen Monate Revue passieren, dann zeigt sich, wie sehr sich der Ton in der Flüchtlingsfrage in der Politik verschärft und die Stimmung in der Bevölkerung gedreht hat. Dieses öffentliche Stimmungsbild ist hierzulande viel stärker als anderswo durch die reichweitenstarken Boulevardmedien gefärbt. Der renommierte Politologe Fritz Plasser beschreibt Österreich treffend als "Boulevarddemokratie", in der er eine "informelle Koalition" zwischen Boulevard und politischen Akteuren beobachtet, die den politischen Populismus anheizt. Die Macht des Boulevards ist laut Plasser umso höher, je führungs- und entscheidungsschwächer eine Regierung ist. Und das ist sie!

Die Kronen Zeitung ist das mit Abstand einflussreichste Printmedium im Land. Vor allem in der Asyl- und Ausländerpolitik hält sich das Blatt konstant weit rechts der Mitte und findet sich mit den Blättern Heute und Österreich in starker Gesellschaft. Es gibt viele Themen, die dem Boulevard herzlich egal sind, die Asyl- und Ausländerpolitik gehört aber definitiv nicht dazu.

Mit Zähneknirschen wird das zaghafte Hin und Her der Regierungsspitzen noch im Herbst des vergangenen Jahres hingenommen, wo es doch eine klare, harte Linie bräuchte. Medial abgestraft werden die "linken Gutmenschen", heldenhaft gefeiert jene, die sich mit mehr Härte an das Thema heranwagen und dies auch aussprechen. Wie etwa die FPÖ, welche Grenzschließungen und Abschiebungen in großem Stil fordert, oder später die ÖVP-Minister Sebastian Kurz und Johanna Mikl-Leitner, die sich bis dahin längst von der vielzitierten "Willkommenskultur" verabschiedet haben.

Eiserner Kanzler

Letzter Verbündeter Angela Merkels auf EU-Ebene bleibt lange Kanzler Werner Faymann, bis ihr auch er Ende Dezember den Rücken kehrt. Zu groß wurde der öffentliche Druck auf Faymann, dessen Sessel schon so oft in der Vergangenheit bedrohlich wankte. In Krone, Heute oder Österreich kommt der plötzliche Sinneswandel von Kanzler Faymann, der sich aktuell sehr offensiv gegen die deutsche Kanzlerin Merkel richtet, bemerkenswert gut an. Nicht nur durch überbordende Medienpräsenz, auch in der Berichtstonalität zeigt sich ein positiver Effekt für diese situationselastische Wende. Faymann wird zu dieser "Mutation" vom "Piccolo" Angela Merkels hin zum "eisernen Kanzler" – wie die Krone es formuliert – applaudiert. Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner sieht nun Faymann wieder fest im Sattel, nachdem dieser der erste EU-Regierungschef sei, der "den Mut aufgebracht hat, die Politik des Durchwinkens" zu beenden.

Was einst von der FPÖ also an Vorschlägen in der Flüchtlingspolitik eingebracht wurde, wird nun Schritt für Schritt von der Regierung umgesetzt – etwa bei den Asylobergrenzen, bei der Grenzsicherung oder im Zuge der geplanten Abschiebungen in Herculesmaschinen. Der neue Heeresminister Hans-Peter Doskozil hat gleich bei seinem Amtsantritt keine Berührungsängste mit Begriffen wie "Grenzzaun" oder "Obergrenze" – kein Herumeiern also, wie es noch vor einigen Wochen Usus war.

Es wird gehandelt

Auch Außenminister Sebastian Kurz und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner provozieren, sie ecken mit Griechenland an und fordern Deutschland heraus. Das alles gefällt! Endlich, so der einheitliche Tenor im Boulevard, wird gehandelt – so viel Klartext muss honoriert werden. Der Boulevard lobt vor allem zuletzt die Blattlinien-Treuen und neu dazugestoßenen Hardliner in der Asyldebatte, verteilt Zuckerln in Form einer selten dagewesenen euphorischen Berichterstattung, die jenseits des objektiv-neutralen Journalismus einzustufen ist.

Vertrauensindex

Was sich in der Medienanalyse abzeichnet, lässt sich später auch im Vertrauensindex dieser Politiker ablesen, wo Kurz und Doskozil ganz oben kursieren und auch der schwer angeschlagene Kanzler zuletzt eine positive Entwicklung für sich verbuchen kann. Aus kommunikationspolitischer Sicht ein kleiner Erfolg für die SPÖ, der sich jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nachhaltig wird einstellen können. Authentizität, parteiinterne Geschlossenheit und ein Koalitionspartner, der nicht bloß Einzelkämpfer sein will, fehlen dafür.

In einer Demokratie, in der die Politik zum Spielball einzelner Medien wird, in der Spitzenpolitiker ihre Haltungen innerhalb kürzester Zeit um 180 Grad drehen können, ohne in den Medien ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, sei zu Vorsicht aufgerufen. (Maria Pernegger, 30.3.2016)