Viele Zuwanderer arbeiten in Österreich am Bau. Mit ihren Steuern und Abgaben finanzieren sie das Sozialsystem mit. Wenn die Babyboomer in Pension gehen, ist jede helfende Hand gefragt, sagen Ökonomen. Die Zahl der Erwerbstätigen werde sonst massiv sinken.

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Wien – Auf die Idee sind die Ökonomen rund um Johannes Berger schon lange vor dem Flüchtlingsandrang gekommen. Jetzt hat ihr Gedankenexperiment aber deutlich an Aktualität gewonnen: Was würde es für die öffentlichen Finanzen Österreichs heißen, wenn man die Zuwanderung per 1. Jänner 2016 für die nächsten 45 Jahre vollkommen zudrehen würde? Aus dieser Frage ist eine Studie entstanden, die bald in einem Journal veröffentlicht wird und dem STANDARD vorab vorliegt.

Was haben die Ökonomen des industrienahen Forschungsinstituts Eco Austria und des Instituts für Höhere Studien (IHS) herausgefunden? Zunächst würde Österreich langsam zu schrumpfen beginnen. In den vergangenen Jahren hielten sich die Zahl der Neugeborenen und die der Todesfälle in etwa die Waage. 2014 gab es mehr Babys als Gestorbene, im Jahr davor war es umgekehrt. Das dürfte aber nicht mehr lange so bleiben.

Eine Million weniger

Ohne Migranten würde Österreich bis 2060 um eine Million Menschen schrumpfen. Das entnehmen die Forscher einer Schätzung von Eurostat. Die übriggebliebenen 7,5 Millionen Bewohner könnten sich breitmachen. Auf einen Pensionisten würden in diesem Szenario nur mehr 1,5 Menschen kommen, die ihrem Alter nach für Arbeit infrage kommen (also zwischen 15 und 64 Jahre alt sind). Weil in Österreich die Arbeiter mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen die Pensionen der Älteren finanzieren, wird es eng.

Derzeit kommen vier potenziell Erwerbstätige auf einen Pensionisten. Die Zahl der Pensionisten wird wegen der Babyboomer zwar auch mit offenen Grenzen und mehr Migranten zunehmen, aber nicht so schnell. Eurostat schätzt, dass das Land unter normalen Umständen 2060 neun Millionen Einwohner zählen wird. Dann würde es zumindest zwei potenziell Erwerbstätige für jeden Pensionisten geben.

Drei Optionen

Im Experiment der Ökonomen können die übriggebliebenen Bewohner Österreichs 2060 dann zwischen drei Optionen wählen. So könnten sie etwa um fünf Jahre später in Pension gehen, sagt Johannes Berger. Damit der Staat dann nämlich auf dasselbe Budgetdefizit kommt wie unter dem "normalen" Migrationsszenario, müsste man zum Beispiel nicht bis 67, sondern bis 72 arbeiten.

Das ist aber kein Muss. Die durchschnittliche Pension könnte auch um 15 Prozent gekürzt werden, rechnen die Ökonomen vor. Die dritte Option: Der durchschnittliche Einkommenssteuersatz müsste um 14 Prozentpunkte erhöht werden. Wer sonst 40 Prozent Steuern auf sein Einkommen zahlen würde, müsste dem Staat also 54 Prozent überweisen.

Positive Aspekte

Wozu die Studie gut ist? "Bei all den Herausforderungen, die mit Zuwanderung verbunden sind", sagt Berger, "sollten wir nicht vergessen, dass sie auch sehr viele positive Aspekte mit sich bringt."

Die Ökonomen haben für ihre Arbeit angenommen, dass künftige Zuwanderer mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen haben werden wie bereits in Österreich lebende Ausländer. Im Vorjahr lag die Arbeitslosenrate bei Ausländern in Österreich bei 13,5 Prozent, während die durchschnittliche Arbeitslosenrate bei 9,1 Prozent lag. Menschen ohne österreichischen Pass verdienen im Schnitt auch weniger.

Der Flüchtlingsandrang des Vorjahrs wird in der Eurostat-Prognose, die vor einigen Jahren erstellt wurde, klarerweise noch nicht berücksichtigt. Daher findet sie in der Studie auch keine Berücksichtigung. Die Forscher gehen aber davon aus, dass die Ergebnisse des Papiers für die zugewanderten Flüchtlinge nicht gelten. Deren Integration sei wohl deutlich schwieriger.

800 Millionen im Jahr

Genaue Einschätzungen für die langfristigen Effekte auf den Staatshaushalt traut sich derzeit noch niemand abgeben. Vor kurzem wurde aber eine Studie von Eco Austria und der Donau-Universität Krems veröffentlicht, die für den Zeitraum 2015 bis 2019 mit 8,1 Milliarden Euro an zusätzlichen Ausgaben für Flüchtlinge rechnet.

Der Staat soll durch zusätzliche Steuern und Abgaben aber auch vier Milliarden Euro einnehmen. Im Schnitt würde der negative Effekt auf das Budget damit 800 Millionen Euro pro Jahr betragen. (Andreas Sator, 29.3.2016)