Rund um den ukrainischen Premier Arsenij Jazenjuk ist es einsam geworden. Der Poker um die Bildung einer neuen Regierung ist in vollem Gange, doch auch Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen.

Je länger der Druck auf Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk andauert, desto mehr Namen werden für seine potenzielle Nachfolge genannt: In der Woche vor Ostern schien noch Finanzministerin Natalia Jaresko die besten Karten zu haben. Doch die in den USA geborene Bankerin mit ukrainischen Wurzeln hat keine Partei- und Machtbasis. Zuvor war auch immer wieder der Name des früheren georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili gefallen, doch auch er fand nicht ausreichend viele Unterstützer.

Seit einigen Tagen wird nun Parlamentspräsident Wladimir Groisman als neuer Premier gehandelt. Die beiden in der zerrütteten Koalition verbliebenen Parteien – die Präsidentenpartei "Block Poroschenko" und Jazenjuks "Nationale Front" – pokern derzeit um Posten und Einfluss. Groisman hat am Wochenende eine Liste veröffentlichen lassen, laut der zahlreiche Minister ausgetauscht werden sollen. Geht es nach ihm, so würde Jaresko nicht weiter Finanzministerin sein. Ihr sollte der frühere Vizepremier der Slowakei, Ivan Mikloš, folgen. Der Wirtschaftsliberale gilt als enger Freund von Präsident Petro Poroschenko und war schon als Berater für Jaresko tätig.

Auch der 38 Jahre alte Groisman hat enge Beziehungen zu Poroschenko, er gilt als dessen politisches Ziehkind. Bis zum Herbst 2012 war der Selfmade-Multimillionär Bürgermeister der Provinzstadt Winnyzja in der Zentralukraine. Dort befindet sich ein Hauptteil der Produktionsanlagen von Poroschenkos Süßwarenimperium Roshen.

Erfahrener Regionalpolitiker

Erst 2014 betrat Groisman die politische Bühne in Kiew. Poroschenko wollte einen Vertrauensmann in der damaligen Übergangsregierung platzieren. Zuvor, 2010, war er bei den Kommunalwahlen mit fast 78 Prozent zum Bürgermeister von Winnyzja gewählt worden. Damals war er bereits acht Jahre lang Abgeordneter des Regionalparlaments.

Die Vergangenheit des 1978 in Winnyzja geborenen Sohns eines Schlossereibesitzers ist eher untypisch. Bereits mit 14 Jahren gab Groisman die Schule auf und fing an, als Schlosser im Betrieb des Vaters zu arbeiten. Mitte der 1990er-Jahre gründete er sein eigenes kleines Unternehmen und verkaufte Uhren aus ukrainischer Produktion nach Polen. Erst 2010 nahm er an einem Programm des damaligen Präsidenten teil und absolvierte einen Masterstudiengang für Regionalverwaltung.

In einem Interview mit Radio Liberty im Jahr 2009 schwärmte Groisman für Paris und San Francisco. Er reise gerne und viel, und diese beiden Städte hätten es ihm besonders angetan, weil sich dort alles mische: Reich und Arm, moderne und historische Elemente. Auch Berlin hatte er damals bereits besucht. An die deutsche Hauptstadt hatte er vor allem die Erinnerung, dass dort alles systematisch aufgebaut sei – und diesem Maßstab alles untergeordnet werde. "Dort verläuft alles übergenau", so Groisman damals.

Ob Groisman tatsächlich die Nachfolge von Jazenjuk antreten wird, ist noch ungewiss. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob es den zerstrittenen Parteien gelingt, eine neue Regierung zu bilden. Vor allem die Vaterlandspartei der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko strebt offen Neuwahlen an. Für ihre klaren Worte bekannt, verglich Timoschenko die laufenden Verhandlungen mit "dem Lakenwechsel" in der Baracke einer Strafkolonie. "Auch wenn es frische Bettwäsche gibt, ein Lager bleibt ein Lager", so Timoschenko während einer Verhandlungspause vor Journalisten in Kiew. Auch die Partei des Bürgermeisters von Lwiw, Andreij Sadowji, die Selbsthilfepartei, hält weitere Verhandlungen für Zeitverschwendung. "Die Menschen in der Ukraine wünschen sich Stabilität und Wirtschaftswachstum statt wochenlanger quälender Diskussionen", heißt es in einer Pressemitteilung der Partei. (Nina Jeglinski aus Kiew, 30.3.2016)