"Trump Country" sind nicht nur wirtschaftlich abgesackte Regionen, auch an der privaten christlichen Liberty University in Lynchburg in Virginia hat Donald Trump viele Fans.

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Der Schornstein thront über Luray wie der schiefe Turm über Pisa. Ringsum leere Fabriksgebäude, von ockerbraunen Fassaden blättert die Farbe, im Hof vergammeln ausrangierte Drehsessel vor einer verschlossenen Tür, über der das Ladenschild einer Antiquitätenhandlung baumelt.

Früher war hier, zwischen Bahngleisen und einem Bach namens Hawksbill Creek, eine Gerberei angesiedelt. Dann fiel der Freihandel über Luray her, und nun steht der backsteinrote Schornstein an der Tannery Road symbolisch für den industriellen Niedergang in der kleinen Stadt im Shenandoah Valley.

Das mit dem Freihandel sagt Barry Presgraves nicht wörtlich, aber darauf läuft es hinaus, wenn er gegen Billigproduzenten aus China und Mexiko wettert, die Luray das Wasser abgegraben hätten. Heutzutage freut sich der Bürgermeister schon, wenn er einen Friseursalon oder eine Kneipe eröffnen darf. Mit lokalpatriotischem Stolz öffnet er die Schreibtischschublade in seinem Amtszimmer und holt eine vergoldete Schere heraus, ein imposantes Exemplar, wie man es zum feierlichen Zerschneiden roter Bänder verwendet.

Good bye Tristesse

Presgraves wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich mal wieder einen Industriebetrieb einzuweihen. Deshalb sei er dafür, es einmal mit Donald Trump im Weißen Haus zu versuchen. Im Page County, dessen Hauptstadt Luray ist, sehen das viele ähnlich.

Dort, im Westen Virginias, haben die Wähler bei den Primaries der Republikaner zu 51 Prozent Trump ihre Stimme gegeben. Der Immobilienmogul soll das Ruder herumreißen, er soll eine Fahrrinne finden, die herausführt aus dem Meer der Tristesse. Irgendwie.

"Ein Milliardär ist genau das, was wir jetzt brauchen", sagt Presgraves. Gewiss, Trump habe Schwächen wie jeder andere auch. Hauptsache, er sei kein Politiker. Auf Politiker ist Presgraves nicht gut zu sprechen, da wird der freundliche Herr mit seinem gemütlichen Südstaatenslang richtig schroff. "Die tischen dir am Freitag ein Märchen auf, am Samstag kommst du ihnen auf die Schliche, und am Sonntag belügen sie dich erneut."

Damit seine Besucher gar nicht erst auf die Idee kommen, ihn, den Mayor, dem Politikbetrieb zuzuordnen, erzählt er von seiner langen Karriere als Manager eines Dienstleistungsunternehmens. Mit 66 wurde Presgraves erstmals an die Spitze der Gemeindeverwaltung gewählt, heute ist er 73, bekommt für seine Dienste monatlich 600 Dollar und betont, dass es ihm nicht ums Geld gehe, denn Geld brauche er nicht. "Ich besitze fünf Häuser, die ich vermiete. Und wenn Sie mir jetzt sagen, ich sei so etwas wie der Donald Trump von Luray, dann nehme ich das als Kompliment."

Wehmut nach dem Absturz

Blättert Presgraves in Gedanken in der Chronik des Fünftausend-Einwohner-Städtchens, packt ihn schnell die Wehmut. Früher gab es drei größere Fabriken, in denen praktisch jeder Erwerbsfähige Arbeit finden konnte.

In der Gerberei, Virginia Oak, waren zu den besten Zeiten 300 Leute beschäftigt, in der Stoffherstellung von Luray Textile 600, in einem Werk der Jeansmarke Wrangler 350. Alles Geschichte. Seit Wrangler 2003 die Produktion einstellte, dienen die Hallen in Luray nur noch als Zwischenlager für importierte Jeans aus Niedriglohnländern.

Eine Zeitlang wurde der Absturz noch abgefedert, da auch im Speckgürtel um Washington, rund zwei Autostunden entfernt, das Immobilienfieber grassierte und entlassene Fabrikarbeiter bei Baubetrieben unterkamen. Damit war es erst mal vorbei, als 2007 die Preisblase am Häusermarkt platzte.

Heute bündeln sich im Page County all die Probleme, die weite Landstriche der USA erfasst haben, etwa die Kohleregion der Appalachen oder den "Rust Belt" mit seinen Industrieruinen von Detroit bis nach Philadelphia. Die Arbeitslosenquote liegt bei 7,7 Prozent, knapp drei Prozent über dem Landesdurchschnitt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.

Nur Mickey-Mouse-Jobs

Gina Hilliard, die Chefin der lokalen Handelskammer, legt den Finger in die Wunde. Wer heute eine Anstellung finde, bekomme kaum mehr als den Mindestlohn, stellt sie nüchtern fest. Die Tropfsteinhöhlen am Stadtrand ziehen zwar massenweise Besucher an, doch die Tourismusbranche bietet eben nur Mickey-Mouse-Jobs, wie man einfache Tätigkeiten in Amerika nennt, nicht die besser bezahlten Arbeitsplätze der Industrie.

Fragt man Hilliard nach einem Hoffnungsschimmer, nennt sie einen Möbelhersteller, dessen Spezialität es ist, Regale zu bauen, in deren dicken, hohlen Brettern sich Gewehre lagern lassen, ohne dass es auffällt. Tactical Walls heißt die Marke. In der Handelskammer rechnen sie mit 25 Stellen, es ist ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wegen der wirtschaftlichen Malaise also setzt Presgraves auf Trump. "Nun ja, dass er immer so angeben muss, mit seiner Boeing, seinen Wolkenkratzern, seinen Golfclubs, das gefällt mir nicht", sagt er. Aber irgendwie fasziniert es ihn auch. Jedenfalls solle dieser ruppige Typ "einfach mal die Brechstange ansetzen".

So reden viele in Luray, doch es gibt auch deutlich vernehmbaren Widerspruch. Mary Fouse hat eine pleitegegangene Apotheke an der Main Street zu einer Kneipe umfunktioniert und diese nach einer Geschichtensammlung von James Joyce "Dubliners" genannt – das rote Band natürlich zerschnitten vom Bürgermeister. "Die Sache ist die", sagt sie und stochert mit der Gabel in ihrem Rucolasalat, "Trump verspricht ja eigentlich nichts, es bleibt doch alles so vage. Seine Rivalen haben schon recht, er ist ein Schwindler."

Fleischspenden

Auch in Smithfield, rund dreihundert Kilometer in Richtung Südosten, hat der Tycoon die Vorwahlen gewonnen, wenn auch knapper als in Luray, nur mit 41 Prozent. Die Stadt am mächtigen James River hat eine kleine Revolution hinter sich, und als sie heraufzog, warnten die Skeptiker, dass nichts bleiben würde, wie es mal war. Smithfield Foods, der weltgrößte Schweinefleischkonzern, im Volksmund nur "Foods" genannt, wurde vor zweieinhalb Jahren von Investoren aus China gekauft.

"Was haben die Leute damals nicht alles befürchtet, eine Entlassungswelle, chinesische Billigarbeiter, die in Scharen einschweben würden", erinnert sich Carter Williams, der Bürgermeister, dessen Krawatte ein anstecknadelgroßes Messingschwein ziert. Sein leises Lächeln lässt schon ahnen, dass die Pointe gleich folgt. "Alles ist geblieben, wie es mal war, wirklich alles. Außer dass sie bei Foods noch mehr Gewinn machen."

An den Chinesen hat er nichts auszusetzen, sie lassen den Laden laufen, pflegen alte Traditionen. Der Kirche, in die er sonntags zum Gottesdienst geht, spenden sie in opulenten Mengen Fleisch zum Grillen für gemeinnützige Zwecke. "Genauso war es unter Joe Luter III", sagt Williams zufrieden und meint den amerikanischen Besitzer von Foods. Krise sieht anders aus.

Warum Smithfield dennoch "Trump Country" ist? Komisch, antwortet der Bürgermeister, nach eigenem Bekunden weder Demokrat noch Republikaner, er finde einfach keinen, der sich zu seinem Wahlverhalten bekenne. "Keiner will zugeben, dass er für Trump gestimmt hat. Ich frage ja ständig, aber keiner gibt es zu."

Wenn im Fernsehen die Kandidatendebatten laufen, erzählt Williams, raune er seiner Frau schon mal zu: "Hast du gehört, was dieser Kerl über China gesagt hat? Er hat ja nicht den blassesten Schimmer."

Irgendwann findet man auch in Smithfield einen Menschen, der einräumt, ein Trump-Fan zu sein. Er heißt Bruce Meyer, ist 47 Jahre alt, arbeitet als Therapeut in einem Krankenhaus und sitzt im Ortsvorstand der Republikanischen Partei. Allerdings kann man ihn nur am Telefon interviewen.

König der Kapitalisten

"Trump ist ein Kapitalist", betont Meyer. Und es sei der Kapitalismus gewesen, der die Menschen aus der Knechtschaft von Königen und Feudalherren befreite. Der wahre Kapitalismus, schiebt er hinterher, sei "nicht die Vetternwirtschaft, wie wir sie aus Washington kennen".

Dass Trump selbst intensive Kontakte zur Politik pflegte, um etwa in New York seinen Immobiliengeschäften nachgehen zu können, sieht er eher milde. "Wer ist denn schuld daran? Das sind doch die Politiker, die sich schmieren lassen, nicht diejenigen, die unter diesen Umständen Geschäfte machen müssen."

Dem Kapitalisten Trump jedenfalls hat Meyer jahrelang zugeschaut in dessen Realityshow "The Apprentice". Da saß einer im Chefzimmer, hörte sich verschiedene Meinungen an, wog ab und traf am Ende eine Entscheidung – so hat er es erlebt. "Und was tut ein Präsident? Er trifft Entscheidungen, stimmt's?" Donald Trump, schwärmt Bruce Meyer, verfüge über Erfahrungen, wie kein anderer Kandidat sie besitze. (Frank Herrmann, 27.3.2016)