"Schichtgrafik" (1994): Mit Grafitschraffuren auf Transparentpapier experimentierte Helga Philipp in dieser Bildserie.

Foto: Galerie Hubert Winter, Nachlass Helga Philipp

Mit pendelnden Stäben vor farbigen Flächen schuf er Bilder, die zu vibrieren schienen, sog den Betrachter in den Strudel seiner illusionistisch erzeugten Spiralen: Jesús Rafael Soto (1923-2005). Seine Kunst, so heißt es, soll die junge Helga Philipp (1939-2002) maßgeblich beeinflusst, ja ihr die Welt der Op-Art und der kinetischen Kunst erst erschlossen haben. Was sich an Sotos – und natürlich auch Philipps eigenen – Arbeiten so intensiv nachspüren lässt, ist, wie sinnlich doch der Weg zur einst angestrebten Entpsychologisierung und Versachlichung der Kunst war.

Mit welch riesiger Experimentierfreude Philipp sich diesen Spielarten der Abstraktion widmete, illustriert momentan die Ausstellung Abstract Loop Austria im Wiener 21er-Haus. Als Teil einer internationalen Avantgarde sind ihre Arbeiten derzeit aber auch in einer Schau zu Op-Art und Kinetismus (1950-1970) in Kopenhagen vertreten. Auf wesentlich spätere Werkphasen (Ende 1980er und 1990er) blickt hingegen das kleine Solo in der Galerie Hubert Winter. Eine Ausstellung, die ganz von der monochromen Farbigkeit des Materials Grafit dominiert wird.

Linien werden wieder Material

Und obendrein eine Schau, die zeigt, wie die zunächst eliminierte künstlerische Handschrift über feine Schraffuren – zwar dezent, aber doch – in Philipps Arbeit zurückkehrt. Auf schwarzem Karton scheinen die dicht gezogenen Grafitlinien regelrecht wieder zum reinen Material zu werden. Mit Rauten, Quadraten, Dreiecken baut sie architektonische Illusionen, überprüft Wirkung und Zusammenspiel geometrischer Körper in Spiegelungen und Überlagerungen.

Dass Philipps Kunst immer auch zwischen Malerei und Objekt kippt (sie studierte Bildhauerei), führen hier insbesondere ihre Ölbilder vor: "Shaped Canvases" nach dem Vorbild Frank Stellas emanzipieren sich hier vom klassischen Geviert der Leinwand.

Eine Form von Malerei im Raum, die Philipp Ende der 1980er in ihrem Paravent (aus Bildtafeln mit einem komplexen System diagonaler Farbstreifen) maximal gesteigert hat. Denn im Objekt findet sie freilich noch mehr Spielgefährten für das Licht als gestaltenden Partner. Über die strukturierte Oberfläche streifend und sich in den Metallpigmenten der Farbe reflektierend entsteht eine "bewegte Schattenlandschaft" (Katrin Draxl, Poesie der Logik, Springer 2010). Die Möglichkeit zur Faltung des Ensembles vervielfältigt solche Lichtspiele. Für noch mehr Variation sorgt obendrein der vom Objekt zum Standpunktwechsel provozierte Betrachter. Zwar keine kinetische Kunst im engeren Sinne, aber quasi eine Kunst mit dem Imperativ zur (Selbst-)Bewegung. (Anne Katrin Feßler, Album, 26.3.2016)