Einer der Wenigen, für die die (nicht bloß klassische) Antike ein selbstverständliches "Lebensmittel" ist: Christoph W. Bauer.

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Auch terzinen haben keinen rückwartsgang", beendet Christoph W. Bauer eines seiner neuen Gedichte, das aus lauter Terzinen besteht und durch die Wahl dieser lyrischen Form doch rückwärts geht.

Aber natürlich haben Terzinen – die Dreizeiler der Divina Commedia Dantes sind das Muster – einen unaufhaltsamen Sog nach vorn. Was gesagt wird, holt nur kurz Anlauf im Reim des vorletzten Verses, um selber den Stab gleich dem nächsten weiterzugeben und so fort.

Bauer liebt alte Formen und man würde am besten gar nicht von Gedichten reden, sondern von "carmina" wie in der Antike: Lieder, Gesänge. Rhythmus und Reim bringen sie zum suggestiven Wohlklang, selbst wenn sie von den Disharmonien unserer Zeit geprägt sind.

Das von Bauer meisterhaft eingesetzte Mittel des (interpunktionslosen) Enjambements, des Übersprungs von einer Verszeile auf die nächste, verfugt das ineinander, was wir sonst nur als auseinanderbrechend wahrnehmen. Es bringt in den Strom der Gedichte aber auch Turbulenzen: Es zwingt zum Rückwärtslesen, um zu verstehen, was vorwärts gemeint ist. Und plötzlich springt aus einzelnen Versen, isoliert aus ihrem Kontext, auch völlig unvorhergesehener Sinn oder Unsinn heraus – eine Farbe mehr in Bauers farbigen Gedichten.

Bauers "Gesang" ist tatsächlich immer ausdrucksstark, mag er nun angriffig, lustvoll, frech daherkommen oder in der (mit charmantem Understatement gemimten) Rolle des Glücklosen, Erfolglosen, Rastlosen: "soll doch sollen die anderen / ausser acht lassen will ich mich / vor meiner unleserlichen schrift // nichts mehr gefällt mir muss / mich auf den weg machen / andere sprache anderes land."

Das, was sie umtreibt, verwandeln Bauers Verse stets in etwas Leichtes. Aber mag dann das Leben mit all seinen Unwägbarkeiten und Zufällen auch als Spiel erscheinen, so ist es doch nicht ohne Konsequenz und formt sich zu einem irreversiblen Lebenslauf.

Die vier Abteilungen des Bandes stromern zusammengenommen können durchaus verstanden werden als ein Entwicklungs-"Roman" in Gedichten: Herkunft, Kindheit und Jugend prägen den ersten Teil, Lehr-, Wander- und Flegeljahre den zweiten und dritten, freie Ausübung der Meisterschaft den vierten.

Über alle Teile hinweg bleibt sich aber eines gleich: die Ruhelosigkeit. Da ist zunächst das Ausbrechen aus römisch-katholischer, grün-brauner Kärnter Provinzialität (zwischen Schilaufen, Kiffen, Catull und Bukoswki), dann das Ausschnüffeln verheißungsvollerer Gegenden (mit, im Paris-Kapitel vor allem, verwirrenden Ernüchterungen), und schließlich das Ankommen in einer heimatlosen Heimat: "schenk ein arthur meinetwegen absinth / und hernach ein loblied auf die laterne", endet eines der letzten Gedichte des Bandes.

Das Gesöff, das da aus- und eingeschenkt wird, ist aber nicht bloß Absinth, sondern reine Poesie. Dem Sänger unter der Laterne gehört ja nichts mehr außer seinem Lied.

Wie die Strophenformen will auch Bauers lyrisches Ich auf und davon – und kehrt doch immer zurück: "war lange nicht mehr hier und / doch nie fort...", heißt es bei der Ankunft in Paris. Absolute Trennungen gibt es keine. Diese romantische Grundstimmung bildet wohl auch den Boden für den politischen Widerstand, den diese Gedichte leisten: "die geschichte meines landes der dome / führt über die totenbücher von auschwitz."

Nicht immer muss es so dramatisch sein, aber selbst auf den Boulevards von Paris gibt es kein Entkommen: "paris arg unbeschwert als wäre ich / verliebt soll mir nichts schlimmeres / zustossen denke ich noch da / pufft mich von hinten einer an / ich begreife sofort ein landsmann."

Weder Liebe noch Leben werden in Bauers Paris wie einst zum Fest. Die Stadt der Künstler und Dichter ist da wie ein Zitat, abblätterndes Kolorit. Und von Paul Nizon, dem Dichterfreund, ist bloß ein "Gelächter" zu vernehmen.

Dennoch: Nizons existentielle Poetik, das "am Schreiben Gehen", wie er es nennt, liegt auch Bauers lyrischem Schaffen zugrunde. Es geht ihm nicht um die genauste Betrachtung der Wirklichkeit, nicht um die Sekunde der wahren Empfindung und schon gar nicht um metaphysische Durchdringung des Daseins.

Schwermut ohne Therapie

Bauers Gedichte reden nicht, sie tun etwas. Sie porträtieren nicht Stromer, Clochards, Galgenstricke, Tagediebe. Sie "stromern" selber. Sie vagabundieren, schlagen Haken, nehmen sich dies und das heraus, lassen es wieder liegen. Sie haben kein Ziel außerhalb ihrer selbst. Ihrer Lust genügt das Verlangen. Ihr Schwermut verweigert sich der Therapie. Vielleicht lindern sie den Schmerz, aber unempfindlich sind sie nie.

Wenn sie zupacken, ironisch, zynisch, sarkastisch, dann nicht um Beute zu machen, sondern weil sie Bewegung brauchen. Dass sie dabei auch überborden – durch Pathos, Metaphern, Reimseligkeit, Bonmots – kann und wird man ihnen fast immer verzeihen.

Integraler Bestandteil von Bauers Gedichten sind die Ahnen: Archilochos, Homer, Ovid, Catull, Horaz, Archipoeta, Villon, Erasmus, Heine, Beckett. Nicht dass er ihnen eine Galerie errichtete. Es geht Bauer vielmehr um eine produktive Zusammenarbeit.

Die kann auch diskret sein: Ein einziges "vivamus" etwa genügt, um Catull als Mitautor eines Gedichts ins Spiel zu bringen. Bauer ist einer der Wenigen, für die die (nicht bloß klassische) Antike ein selbstverständliches "Lebensmittel" ist. Er ist ein "poeta doctus" gewiss, aber man muss darunter auch den Narren im humanistisch aufklärerischen Sinn verstehen. Und einen von Günter Eichs "Narren auf verlorenem Posten". So kann man sich denn auch Bauers Gang und Gesang gut vorstellen: wie "in schuhen denen ich entwachsen bin". (Samuel Moser, Album, 26.3.2016)