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Unterstützer des Verurteilten Radovan Karadžić bei einer Antiregierungsdemonstration in Belgrad.

Foto: REUTERS/MARKO DJURICA

Das Haager Kriegsverbrechertribunal sei ein "politisches Gericht", das Verfahren gegen Radovan Karadžić deshalb eine Farce, sagen viele Bosnier in der Republika Srpska. Es ist unwahrscheinlich, dass seine Verurteilung zu einer realistischeren Einordnung der Kriegsereignisse in Bosnien-Herzegowina führen wird. Denn auch bisher hat die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals nicht dazu geführt, dass sich die Diskurse änderten, zuweilen wurden sogar noch Opfermythen und die Leugnung von Verbrechen verstärkt.

In den Staaten Exjugoslawiens gab es niemals eine "Stunde null", es gab keine breite gesellschaftliche Selbstkritik und Ursachenforschung zum Krieg, weil die politischen Eliten dies bis heute verweigern. In den vergangenen Jahren wurde es eigentlich noch schlimmer. Nicht einmal die Fakten kommen in die Schulbücher. Der bosnischen Gesellschaft fehlt es an Richtung, solange die Eliten für einen Neuanfang und für ein Ende des dumpfen Nationalismus nicht bereit sind. Stattdessen wird weiter Propaganda gegen das Zusammenleben verbreitet.

Auch Karadžić hat sich bis zuletzt geweigert, Verantwortung zu übernehmen oder Schuld einzugestehen. "Ich weiß, was ich wollte, was ich tat, wovon ich träumte, und es gibt kein vernünftiges Gericht, das mich verurteilen würde", sagte er erst kürzlich.

Er war jener Mann, der das ideologische Unterfutter für den Krieg und den Hass lieferte. Sein Ziel war die totale Entsolidarisierung und Entfremdung der bosnischen Volksgruppen. Wie leicht dies möglich war, obwohl sich die meisten Bosnier ein paar Jahre zuvor überhaupt nicht darum gekümmert hatten, welche Religion ihr Nachbar hatte oder welchen Nachnamen jemand trug, ist das, was gerade heute als Lehre dienen könnte.

In den Kriegsjahren verglich Karadžić Bosniaken und Serben mit "Hunden und Katzen", die sich einfach nicht vertrügen. Die Menschen waren bereit, daran zu glauben. Dies zeigt: Wenn man die Dehumanisierung des anderen zulässt, kann das ziemlich schnell vernichtende Folgen haben. Die Logik der ethnischen Differenz übt bis heute eine Sogwirkung in Bosnien-Herzegowina aus. Dabei ist es angesichts der vielen verschiedenen Volksgruppen, die jahrhundertelang dort lebten und sich vermischten, absurd, sich auf ethnische Abstammungsgemeinschaften als zentrales Identitätsmerkmal zu beziehen.

Der serbischen Bevölkerung wurde bereits vor dem Krieg eingeredet, es drohe ihr ein Genozid – man verwies dabei auf den Genozid während des Zweiten Weltkriegs. Man argumentierte auch, dass das Land, auf dem Kroaten und Bosniaken lebten, "serbisches Land" sei. Durch diese Propaganda bekamen viele Serben tatsächlich Angst, dabei bereitete man etwas ganz anderes vor: nämlich die Vertreibung und Vernichtung der Nichtserben. Das Urteil ist gerade wegen des Hinweises auf die Wirkung der Propaganda wichtig. Es zeigt, dass auch Politiker als geistige Anstifter von Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden und nicht straffrei bleiben.

Nach Slobodan Milošević, der vor dem Urteil verstarb, ist Karadžić deshalb der wichtigste Angeklagte des Haager Tribunals. Mit seiner Verurteilung wird gezeigt, dass die Verbrechen lange vorbereitet, geplant und mit Kenntnis der politischen Eliten ausgeführt wurden. Wer wissen will, was wirklich geschah, kann die Prozessakten lesen und daraus lernen. (Adelheid Wölfl, 24.3.2016)