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Angehörige im Bosnienkrieg Getöteter demonstrierten am Donnerstag vor dem Gericht.

Foto: REUTERS/Michael Kooren

Nun sollte doch alles klar sein: Radovan Karadžić ist für den Völkermord in Srebrenica, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also Vertreibung, Ausrottung, Mord, Deportation, inhumanes Handeln, Terror gegen Zivilisten, rechtswidrige Angriffe auf Zivilisten und Geiselnahme für schuldig erklärt worden.

Es ist aber nicht alles klar. Zum Beispiel, warum Karadžić nicht zur maximalen, lebenslänglichen Haftstrafe, sondern zu vierzig Jahren Haft verurteilt worden ist, obwohl das für den Einundsiebzigjährigen de facto lebenslänglich bedeutet. Und zwar nachdem aus dem Urteilsspruch über eineinhalb Stunden über die Verantwortung des Angeklagten für die schrecklichsten Verbrechen vorgelesen worden ist. Da werden so manche unzufrieden sein, vor allem die Angehörigen der muslimischen Kriegsopfer. Hier geht es um Symbolik.

Es ist auch nicht klar, wie es sein kann, wenn das Urteil schon auf einem von der Führung der bosnischen Serben organisierten und verübten "gemeinsamen verbrecherischen Unterfangen" besteht, dass so wenige politisch und militärisch Verantwortliche in den Kriegsjahren angeklagt worden sind. Da werden auch Bosniaken unzufrieden sein.

Unklar ist auch, warum in dem Karadžić-Urteil die Rede war von Angriffen von muslimischen Streitkräften auf muslimische Zivilisten und Mitglieder von UN-Truppen, mit dem Ziel, die Serben dafür verantwortlich zu machen und eine Reaktion der internationalen Gemeinschaft gegen bosnische Serben zu provozieren. Wenn solche Fälle nachgewiesen werden können, dann hätten auch entsprechende Anklagen erhoben werden sollen.

Den Serben wird das Urteil größtenteils sowieso nicht gefallen, weil es die politische Verantwortung der Führung der bosnischen Serben für Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit feststellt, was die Existenz der serbischen Entität in Bosnien Republika Srpska (RS) infrage stellen könnte. Dadurch wird die Argumentation gestärkt, die man oft in Sarajevo hört, dass bosnische Serben mit der RS für ihre Verbrechen belohnt worden seien, dass die RS aufgrund von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit entstanden sei und deshalb verschwinden sollte.

Leider ist auch klar, dass dieser Urteilsspruch rein gar nichts zur Versöhnung in der Region beitragen wird. Ebenso wenig wie alle anderen Urteilssprüche des Tribunals davor. Denn Vergangenheitsbewältigung gibt es nicht nur in Serbien und Bosnien, sondern auch in Kroatien und dem Kosovo nur in Ansätzen. Kaum spürbare Ansätze. Jedes Volk hat verschiedene historische Wahrheiten der gemeinsamen Kriegsgeschichte, jedes Volk zählt nur die eigenen Opfer und zeigt mit dem Finger nur auf die Verbrechen der anderen.

Die Serben werden, zum Teil zu Recht, protestieren, dass für etliche Kriegsverbrechen der muslimischen Seite das Tribunal nicht zumindest ein Untersuchungsverfahren eingeleitet hat.

Es bleibt dabei: Die Helden der einen sind die Henker der anderen. Das hat mit Politik und nicht mit Recht, Gerechtigkeit oder historischen Fakten zu tun. Oft hatte man den Eindruck, dass das auch für das gesamte Uno-Tribunal gilt. Was nicht bedeutet, dass Karadžić nicht zu zehn lebenslänglichen Haftstrafen hätte verurteilt werden sollen. (Andrej Ivanji, 24.3.2016)