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Am Donnerstag holte Serbien die Geschichte ein, und zwar der unangenehmste Teil seiner jüngeren Geschichte: Am 24. März vor siebzehn Jahren begannen die Luftangriffe der Nato gegen Serbien und Montenegro, und am gleichen Tag wird dem ehemaligen Anführer der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, das "historische" Urteil gesprochen. Die Belgrader Tageszeitung "Politika" schloss nicht aus, dass das Uno-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien dieses Datum "absichtlich" gewählt hat, um die Serben zu brüskieren.

Die "Nato-Aggression", die zur Unabhängigkeit des Kosovo geführt hat, bei der es tausende, auch zivile, Opfer gab und die Infrastruktur des Landes zerbombt wurde, ist für die meisten Serben das grundlegende Argument, warum Serbien dem Militärbündnis unter gar keinen Umständen beitreten und Distanz zum Westen behalten sollte.

Im Uno-Tribunal sieht man in Serbien größtenteils ein antiserbisches, politisches Instrument, noch vor dem Urteilsspruch war man daher "auf das Schlimmste vorbereitet", nämlich darauf, dass die juristisch festgelegte "politische" Verantwortung von Karadžić für Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Tür öffnen könnte für eine Revision des Friedensabkommens von Dayton, auf dem die Verfassung von Bosnien und Herzegowina beruht, was wiederum zur Abschaffung der serbischen Entität in Bosnien, der Republika Srpska (RS), führen könnte, der die bestehende Verfassung weitgehende Autonomie und Selbstständigkeit garantiert.

Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Der Gründer und erste Präsident der RS, Radovan Karadžić, wurde wegen Völkermordes in sieben bosnischen Gemeinden, wegen Völkermordes in Srebrenica, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen Mordes, Terrors, Vertreibung, Deportation, ethnischer Säuberung, Geiselnahme und unhumanen Handelns angeklagt. Deshalb ist für Bosniaken die RS innerhalb Bosniens ein störendes Staatsgebilde, das auf Völkermord und schlimmsten Verbrechen entstanden ist.

Trotzdem ist Karadžić für viele Serben immer noch ein Held des Kampfes für das Serbentum. Nur wenige Tage vor dem Urteilsspruch eröffnete der Präsident der RS, Milorad Dodik, feierlich ein Studentenheim mit dem Namen "Dr. Radovan Karadžić" und sagte: "Es wird nur einer Seite geurteilt … Wir dürfen diejenigen nicht vergessen, die für die Republika Srpska ihren Beitrag geleistet haben, auch wenn die mich auf hundert schwarze Listen setzen". Das Heim mit Karadžićs Namen liegt in Pale, der ehemaligen Kriegshochburg der bosnischen Serben.

Unangenehmer Rückblick

Jeder Rückblick auf den Zerfall Jugoslawiens und die Kriege in den 1990er-Jahren ist äußerst unangenehm für die in Serbien regierenden Politiker. Sowohl der starke Mann Serbiens, Ministerpräsident Aleksandar Vučić, als auch Staatspräsident Tomislav Nikolić waren zu dieser Zeit hohe Funktionäre der extrem-nationalistischen Serbischen radikalen Partei (SRS), die nicht nur Radovan Karadžić unterstützte, sondern auch in Serbien Freischärler organisierte und nach Bosnien in den Krieg schickte.

Noch vor rund acht Jahren verteilte Vučić in Belgrad Poster mit dem Bild von Ex-General Ratko Mladić, dem Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Streitkräfte unter dessen unmittelbarem Kommando der Völkermord in Srebrenica verübt worden, bei dem rund 7.000 muslimische Männer und Buben systematisch liquidiert worden sind. Mladić wird ebenfalls vor dem Uno-Tribunal der Prozess wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht.

Nikolić und Vučić spalteten sich später von der SRS, gründeten die proeuropäische Serbische Fortschrittspartei, kamen an die Macht und begannen die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union.

Auferstehen rechtsradikaler Kräfte

Für den 24. April sind vorgezogene Wahlen in Serbien ausgeschrieben. Im serbischen Parlament gibt es zurzeit keine einzige antieuropäisch gesinnte Partei. Nun befürchtet man ihren Einzug in das Parlament. Zu den Parteien, die gegen eine Zusammenarbeit mit dem Uno-Tribunal, gegen den Beitritt Serbiens in die EU und für eine engere Bindung an die Russische Föderation sind, gehört auch die SRS, die ehemalige Partei des serbischen Regierungschefs und des serbischen Staatspräsidenten.

Die SRS hat für Donnerstag um 17 zu einer Massenkundgebung in Belgrad aufgerufen, als Unterstützung für Karadžić – und um an die "Verbrechen der Nato zu erinnern". Chef der SRS ist Vojislav Šešelj, der politische Ziehvater von Vučić und Nikolić, den das Uno-Tribunal aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend in die Freiheit entlassen hatte. Am 31. März wird auch Šešelj vor dem Tribunal das Urteil gesprochen, allerdings in Abwesenheit, weil sich Belgrad weigerte, ihn auszuliefern, und das Tribunal nachgab.

Die Anklage gegen Karadžić wurde im Juli 1995 erhoben. Danach schlupfte er unter und wurde im Juli 2008 in Belgrad gefasst und dem Tribunal ausgeliefert. Er hatte eine andere Identität angenommen. Der Prozess begann am 26. Oktober 2009. Es wurden insgesamt 337 Zeugen der Anklage und 248 Zeugen der Verteidigung verhört. Nachdem der Expräsident Serbiens Slobodan Milošević in Haft des Tribunals verstorben ist, ist das der wichtigste Prozess seit seiner Gründung. (Andrej Ivanji, 24.3.2016)