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Die Reform soll die Voraussetzung dafür schaffen, dass Schüler sich an Gesellschaft und Politik beteiligen.

Foto: dapd/Hans Punz

Wien – Mit dem Schuljahr 2016/17 wird Politische Bildung für Schüler ab der sechsten Schulstufe (zweite Klasse AHS und Neue Mittelschule/NMS) Pflicht. Allerdings kommt dafür kein eigenes Fach, sondern vielmehr Pflichtmodule für das Fach Geschichte: Von den insgesamt neun Themenmodulen werden jeweils zwei Politische Bildung und historisch-politisches Lernen, fünf Module historisches Lernen umfassen.

Ursprünglich war die Einführung der Pflichtmodule schon für Herbst 2015 angekündigt, der Start wurde dann jedoch zugunsten eines Pilotprojekts an 53 Schulen verschoben. Die Erfahrungen der Pädagogen sind laut Bildungsministerium in den Entwurf für den neuen Lehrplan eingeflossen, dessen Begutachtungsfrist vor einigen Tagen geendet hat. Bis Juni soll die Lehrplanverordnung beschlossen werden.

Ziele der Politischen Bildung laut Lehrplanentwurf: Die Schülerinnen und Schüler sollen altersadäquat u. a. historische und gesellschaftliche Entwicklungen verstehen, kontroverse Interessen im Umgang mit Geschichte und Politik erkennen und lernen, in einer demokratischen Gesellschaft eigene Meinungen ausdrücken und sich mit jenen anderer auseinandersetzen können. Das soll die Voraussetzung dafür schaffen, dass Schüler sich an Gesellschaft und Politik beteiligen und jene Werte, auf denen die Grund- und Menschenrechte basieren, kennen, verteidigen und weiterentwickeln.

Bildungsministerin: "Meilenstein"

In der Praxis sieht ein Modul etwa so aus: In der zweiten Klasse AHS bzw. Neue Mittelschule (NMS) sollen sich die Schüler unter dem Titel "Gesetze, Regeln und Werte" u. a. mit Gesetzen und Normen beschäftigen, von denen sie betroffen sind, und die Anwendung sowie Verletzung von Kinderrechten in verschiedenen Gesellschaften diskutieren.

Für das Bildungsministerium ist der neue Lehrplan ein "Meilenstein in der Vermittlung von politischer Bildung und Demokratiekultur". Für Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle, stellvertretende Obfrau der Interessengemeinschaft für Politische Bildung, hat die Lehrplanänderung auf jeden Fall Potenzial: "Es bedeutet schon eine Veränderung des Geschichtsunterrichts, weil es nun Module zur Politischen Bildung gibt, deren Inhalte durchgemacht werden müssen."

Nachholbedarf bei Lehrlingen und Pflichtschulabgängern

Entscheidend sei allerdings die Umsetzung in der Praxis: "Und die steht und fällt sehr stark mit dem Engagement der Lehrerinnen und Lehrer." Immerhin gehe es ihrer Meinung nach bei Politischer Bildung nicht so sehr darum zu wissen, wie viele Abgeordnete im Parlament sitzen. "Dadurch kann man Werte der Demokratie nicht stärken. Es geht darum, wie man Kinder und Jugendliche ins Handeln bringt."

Mit der sechsten bis achten Schulstufe sei eine wichtige Altersgruppe von der Lehrplanänderung betroffen, denn bisher hätten Lehrlinge und Pflichtschulabgänger die größten Defizite in der politischen Bildung gezeigt. Jugendliche an den höheren Schulen (AHS, berufsbildende höhere Schulen/BHS) hätten in der Regel schon bisher ein recht hohes Politik- und Demokratiebewusstsein, verweist Stainer-Hämmerle im APA-Gespräch auf Studien zum Thema.

Speziell ist die Situation an den Berufsschulen: Dort gebe es zwar ein eigenes Fach Politische Bildung, das allerdings oft von Lehrern unterrichtet werde, denen noch Stunden fehlen – dementsprechend unterschiedlich sei auch je nach Motivation der Pädagogen die Qualität.

Grundsatzerlass aus 1978

Bisher war Politische Bildung für die zweite bis vierte Klasse NMS und AHS im Fach Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung verankert, allerdings nur sehr allgemein als sogenannter Kompetenzbereich. An den AHS-Oberstufen wird Politische Bildung im Rahmen des Fachs Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung unterrichtet, an den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) ist Politische Bildung in verschiedenen Kombinationen mit Recht, Geschichte, Zeitgeschichte oder Geografie vorgesehen.

Unabhängig vom Fach ist Politische Bildung von der Volksschule aufwärts eines der zwölf Unterrichtsprinzipien, die in allen Fächern berücksichtigt werden sollen. Hier wurde der Grundsatzerlass aus 1978 vergangenes Jahr aktualisiert. Stainer-Hämmerle wertet das prinzipiell positiv, das neue Unterrichtsprinzip biete "Rückendeckung für jene, die das machen wollen".

Das Problem dabei: Lehrer müssten sich selbst um Material und die didaktische Umsetzung kümmern. Unterrichtsmaterialien seien zwar vorhanden, aber nicht für alle Schultypen und -stufen und – etwa im Vergleich zu Deutschland – in zu geringem Umfang.

Kritiker bestehen auf eigenem Fach

Für Grüne und die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) ist die Einführung von Pflichtmodulen für Politische Bildung ab der sechsten Schulstufe nicht genug. Beide haben am Donnerstag in Aussendungen die Einführung eines eigenen Fachs gefordert.

Für Grünen-Bildungssprecher Harald Walser ist der gewählte Weg "eine Abwertung des Unterrichtsfaches Geschichte", gleichzeitig werde der dringende Bedarf nach Politischer Bildung negiert. Neben einem eigenen Fach brauche es eine dazugehörige Lehrerausbildung. Zusätzlich will Walser die Einführung einer Direktwahl der Landes- und Bundesschülervertretung als "Chance für mehr Interesse durch aktive Beteiligung der Jugend". Derzeit werden nur die Schulsprecher direkt von den Schülern gewählt.

Auch die ÖGJ fordert Maßnahmen, um die "enorm unterentwickelte Kultur der politischen Bildung" zu verbessern. Die Pflichtmodule für Politische Bildung könnten nur ein Anfang sein, so der Vorsitzende Sascha Ernszt. Er besteht auf der Einführung eines eigenen Fachs für alle Schultypen ab der fünften Schulstufe. (APA, 24.3.2016)