Joachim Löw (li) und der DFB bangen um ihren Kapitän Bastian Schweinsteiger, der beim Trainingsauftakt am Dienstag noch guter Dinge war.

Foto: AFP/ TOBIAS SCHWARZ

Berlin – Als Bastian Schweinsteiger am Mittwochfrüh zum Arzt seines Vertrauens flog, war eine große Sorge mit an Bord. Die zu befürchtende schwere Knieverletzung könnte das große Ziel des DFB-Nationalteam-Kapitäns gefährden: Die EM in Frankreich (10. Juni bis 10. Juli) als krönender Abschluss seiner Karriere.

Schweinsteiger hat sich im Training am Dienstag am rechten Knie verletzt und fehlte bei der Einheit am Mittwochmorgen ebenso wie Mesut Özil und Karim Bellarabi. "Es sieht im Moment sicherlich nicht sehr positiv aus. Es könnte sein, dass das Innenband zumindest angerissen ist", sagte Bundestrainer Joachim Löw am Mittwochmittag. Schweinsteiger habe sich "am Ende des Trainings ohne Fremdeinwirkung bei einem Pass verletzt".

Sollten sich bei der Kernspinuntersuchung in der Praxis von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in München die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten, droht dem 31-Jährigen ein Horror-Szenario: Nach zwölf Jahren und 114 Länderspielen im Kreise der Nationalelf ein Abschied durch die Hintertür.

Denn aktuell war Schweinsteiger schon nur "ein Chef für gewisse Stunden". Dass sein erstes Turnier als Kapitän auch sein einziges als Spielführer sein wird, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Sein Körper ächzt immer wieder unter den Belastungen, die der Profifußball dem einst "Frühreifen" seit nun fast 15 Jahren zumutet.

Spekulationen

Ein Rücktritt aus dem Nationalteam nach der EM, so hört man aus Schweinsteigers Umfeld, ist wahrscheinlich. Weil er auch als Leader wichtig ist, nominierte ihn Löw trotz fehlender Bestform für die beiden ersten Länderspiele des Jahres gegen England am Samstag und Italien drei Tage später. Die verletzungsbedingte Abreise nährt nun Spekulationen, ob Schweinsteiger überhaupt bei der EM dabei sein wird.

Sollte er fit werden, kann er sich Löws Unterstützung sicher sein. Denn nicht nur der Bundestrainer erinnert sich stets an das Bild vom 13. Juli 2014, auf dem Schweinsteiger, unter dem Auge eine blutende Wunde und der ganze Körper irgendwie ein einziger blauer Fleck, nach dem Sieg gegen Argentinien (1:0 n.V.) den WM-Pokal in die Luft reckt. Das wichtigste Spiel seiner Karriere wurde sein bemerkenswertestes. Löw lobte eine "unmenschliche Willenskraft, die ich noch nie gesehen habe".

Einen besseren Moment zum Abgang auf dem Höhepunkt wird Schweinsteiger nicht mehr finden, so viel scheint klar. Doch solch einen Leader braucht man auch bei einer EM. Obwohl er seit der Beförderung zum Kapitän nur 495 von 1350 Minuten auf dem Platz stand.

"Die Zeit bis zur Euro ist noch relativ lange", hatte Löw vor der Zusammenkunft in Berlin gesagt: "Auch bei der WM 2014 hat er bei uns im Trainingslager kaum eine komplette Einheit mit der Mannschaft absolviert. Dann aber hatten wir ihn doch so weit, dass er in den wichtigen Spielen richtig präsent war." Schweinsteigers Ehrgeiz sei "ungebrochen extrem hoch, er will weiter Topleistungen bringen." Abgesprochen sei ein Rücktritt danach auch noch nicht, versicherte Löw.

Reizvolle Aufgabe

Sicher hat Schweinsteiger sich auch nach dem WM-Triumph schon Gedanken gemacht, ob wie bei Philipp Lahm, Miroslav Klose oder Per Mertesacker für ihn noch etwas kommen kann im Nationalteam. Doch die Aussicht, das Team einmal als offizieller Kapitän zu einem Turnier zu führen, war für den seit Jahren als heimlicher Chef geltenden Bayern zu reizvoll. "Ziemlich schnell nach unserem Triumph in Rio habe ich gemerkt, wie sehr es mich reizt, den Erfolg in Europa zu bestätigen", erklärte er: "Mir war sofort klar, dass mein Weg mit diesem Team noch nicht zu Ende ist."

Bei Manchester United, wohin er im Sommer nach 17 Jahren bei Bayern München wechselte, nahm er aus Verletzungs- wie Leistungsgründen nicht die Rolle ein, die er und der Klub sich vorstellten. Die Daily Mail führt ihn als drittgrößten Flop der Saison. Doch beim DFB irritiert das niemanden. "Bei so einem erfahrenen Spieler wie Bastian mache ich mir keine große Sorge", sagte Manager Oliver Bierhoff vor der Verletzung: "Vielleicht ist es sogar gut, dass er keine 60 Spiele vor der EM auf dem Buckel hat."

In einem offenen Brief an die Fans schrieb Schweinsteiger kürzlich, er wolle in Frankreich "einen Jubelsommer erleben". Sollte das gelingen und das DFB-Team mit dem Kapitän Schweinsteiger erstmals als Weltmeister eine EM gewinnen, wäre seine Mission erfüllt. (sid, 23.3.2016)