Wien – In der ZiB hätte der Beitrag mit "Eine Kunstaktion ..." begonnen und den folgenden Bildern somit sofort ein Etikett aufgepickt. Für manche wäre das auch der Impuls zum Umschalten gewesen. Von einer "besonderen Kundgebung", insbesondere einer "sehr friedlichen", spricht am 13. Mai 2011 hingegen der Nachrichtensprecher eines tunesischen Senders. Er lässt sich Zeit mit den Beschreibungen dessen, was sich am Vortag vor dem Theater in Tunis zugetragen hat, einem Zentrum der Jasminrevolution, die nur wenige Monate zuvor den Arabischen Frühling einläutete; erst sehr spät nennt er die Demonstrantin eine "Künstlerin".
Moufida Fedhila, Filmemacherin, Künstlerin, Aktivistin, ist Super Tunisian. Kurz nachdem der öffentliche Raum endlich auch Ort der freien Rede wurde, buhlte sie um Wählerstimmen: Sie pries ihre Superkräfte zur Überwältigung anderer Mächte, zum Hellsehen von Angriffen düsterer Gruppierungen und ihre Schnelligkeit! Um die lästigen, bei nächtlichen Autokorsos hupenden Fahrzeuge verfolgen zu können.
Die Demo dauerte nur anderthalb Minuten, aber verfehlte ihre Wirkung nicht: Leute sammelten sich und begannen zu diskutieren. Genau darauf zielt Moufida Fedhila mit ihrer witzig-ironischen Aktion ab: Selbst denken, statt es den politischen Hetzern zu überlassen, den Verstand – die einzige Waffe freier Menschen – schärfen. Eigenverantwortung statt Passivität.
Fedhila war es wichtig, nach der Revolution nicht in den allgemeinen Jubel einzustimmen. Wachsam statt naiv sein, so lautet die Devise. Und so verballhornte sie in ihrer über mehrere Jahre hinweg mit roten, blauen, goldenen Superheldenumhängen fortgesetzten Performanceserie Super Tunisian immer wieder die absurde Hoffnung der Menschen, die nächsten Wahlen würden einen messiasgleichen Präsidenten hervorbringen.
Fedhila ist eine von zwölf Künstlerinnenn und Künstlern aus den Ländern des sogenannten Arabischen Frühlings – aus Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien -, die nun in der Ausstellung The Turn im Kunstraum Niederösterreich in Wien vorgestellt werden. Sie haben die Agora als Ort der Gegenöffentlichkeit – und nichtmehr nur Repräsentationsraum der gestürzten Diktatur – für sich erobert; trotz neuer Freiheiten oft auch am Rande der Legalität.
Am 28. August 2012 wurden etwa zwei Künstler bei einer Ausstellung in Tunis wegen Missachtung des Glaubens und Störung der öffentlichen Ordnung festgenommen. Chronologie heißt das Projekt von Patricia K. Triki und Christine Bruckbauer – zugleich Kuratorinnen dieser Schau -, das die Restriktionen mit denen Künstlern im postrevolutionären Tunesien in einer papierenen Timeline im öffentlichen Raum dokumentiert.
Wenn Triki und Bruckbauer die Kunst nun jenseits ihrer Kontexte zeigen, dann vor allem auch, um über die Öffentlichkeit, Wertschätzung und Ermutigung für die Künstler herzustellen. Denn Kunst- und Kulturschaffende leisten in ihren Ländern eine immens wichtige Rolle im Transformationsprozess, sind Seismografen, Sprachrohre und Mitgestalter neuer Gesellschaften. "Kunst wird somit zur Staatsangelegenheit", zitieren die Ausstellungsmacherinnen die Kunstkritikerin Selima Koroui.
Tunesien als Druckkochtopf
Solche Sätze untermauern auch die Wichtigkeit von Räumen für die Kunst, wie etwa der Schaffung eines ersten Museums für zeitgenössische Kunst. Das fordert Halim Karabibene mit einem Schnellkochtopf – als Sinnbild des unter Druck stehenden Tunesiens – am Kopf in seiner Performance MNAMC. Das ist etwas, was wir von dieser Schau, die mehr als nur Dokumentationen von Performances zeigt, lernen: Ausstellungsräume auch als Handlungsorte zu begreifen und die politische Dimension des hierzulande zur Verkehrs- und Kommerzzone verkommenen öffentlichen Raums wiederzuerkennen. (Anne Katrin Feßler, 23.3.2016)