Graz – Der Prozess gegen zwei mutmaßliche Jihadisten – ein Brüderpaar mit österreichischer Staatsbürgerschaft – hat am Dienstag das Finale erreicht. Im Anschluss an die Schlussplädoyers zog sich das Gericht mit den Geschworenen zur Beratung zurück. Ein Urteil wird noch am Nachmittag erwartet.

Für den Ankläger bestand kein Zweifel, dass ich der Sevket G. in Syrien als Kämpfer für den IS beteiligt hatte und geplant hatte, zusammen mit seinem Bruder abermals hinzureisen. Nur die Festnahme habe das verhindert. Doch als Österreicher hätten sie beide "nichts im syrischen Bürgerkrieg verloren".

Der Staatsanwalt sprach von einem Kult, der rund um die Rückkehrer entstehe: Der 23-jährige Sevkret G. sei mit seinen Schussverletzungen und Kugeln im Körper bei den islamischen Glaubensvereinen in Österreich "hoch geachtet", regelrecht herumgereicht und als Held präsentiert worden. Den Tatbestand der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung habe sowohl er als auch sein 17-jähriger Bruder erfüllt, nämlich als der Abflugtermin fixiert und die Tickets gekauft waren. Der ältere Beschuldigte wolle nur vortäuschen, dass er als Helfer für gemäßigte Freie Syrische Armee (FSA) gearbeitet hat: "Mit einer Kalaschnikow?" meinte der Ankläger zynisch.

Anklage: Versuchter Mord

Die Staatsanwaltschaft könne Sevkret G. nicht nachweisen, dass er in Syrien getötet hat, daher sei er "nur" wegen versuchten Mordes angeklagt, aber das waren sicher keine "Spaßkanonen", mit denen die Bevölkerung umzingelt wurde. Der "Mythos" der Kämpfer werde durch Menschen wie dem Angeklagten weitergetragen. Der Staatsanwalt war überzeugt, dass die vom IS eingenommenen Territorien wieder an die Syrer zurückfallen werden: "Wenn die jetzt in den besetzten Häusern wohnenden Jihadisten vertrieben werden, wohin gehen sie wohl? Wohin gehen die Österreicher, die unten für den IS kämpfen?" Es sei ein "enormes Sicherheitsrisiko", wenn diese Terroristen dann nach Europa flüchten oder radikalisiert nach Österreich zurückkehren.

"Man hört immer, sie sollen halt hinuntergehen (nach Syrien, Anm.) und dort umkommen", erklärte der Ankläger weiter, aber "es hat keiner hinunterzugehen". Der Strafrahmen für den 23-Jährigen beträgt bis zu 15 Jahre Haft, sein jüngerer Bruder könnte für fünf Jahre ins Gefängnis. Für eine milde Bestrafung sah der Staatsanwalt keinen Grund: "Sie haben sich viel zu weit hinausgelehnt."

Verteidiger: Nur Indizien

Die beiden Verteidiger dagegen wollten keinen Beweis für die Schuld ihrer Mandanten erkennen, es handle sich nur um Indizien. Die Anklage stütze sich auf eine von acht Vernehmungen des 23-jährigen Taxifahrers und bei der sei der Beschuldigte unter Druck gesetzt worden. Der jüngere Bruder – er war einmal mit einem Jihad-T-Shirt in die Schule gekommen – war für den zweiten Verteidiger sowieso ein "ganz normaler 17-Jähriger", der einen Sprachkurs in der Türkei machen wollte. Das habe nichts mit Terrorismus zu tun: "Es ist zu wenig, um zu bestrafen."

Zwei Gutachter schilderten am Vormittag die Verletzungen des 23-jährigen Sevket G.: zwei Steckschüsse im Oberschenkel. Sie sollen laut Staatsanwaltschaft von seinen früheren Kampfeinsätzen für den IS stammen. Die Urteile sind für den Nachmittag geplant.

Der Facharzt für Radiologie erklärte den Geschworenen, dass auf Röntgenbildern vom AKH Wien aus dem Jahr 2013 die beiden Projektile in den Oberschenkeln des Angeklagten zu sehen sind: "Links ein nicht deformiertes Projektil in den Weichteilen, rechts ein deformiertes nahe am Knochen sowie kleine Metallabriebteile." Die Wunden habe der 23-Jährige – so seine Verantwortung – bei seinem ersten Syrien-Aufenthalt von 2012 bis März 2013 erlitten, als er als Sanitäter für die gemäßigte Freie Syrische Armee (FSA) gearbeitet haben will. Gekämpft habe er nicht, sagte er bisher beim Prozess aus.

Projektile wohl aus einem Gewehr

Laut den Nachforschungen des Gerichts dürften die Projektile aus einem Gewehr stammen. Der zweite Sachverständige erläuterte sein medizinisches Gutachten: Die "Steckschüsse" haben "viele Monate alte Narben" hinterlassen. Die Projektile blieben im Körper des Angeklagten stecken – entweder weil die Schüsse von weit weg, oder aus einer "langsamen Waffe" abgegeben worden waren. Die Verletzungen seien als schwer einzustufen. Vor dem Mediziner hatte der Angeklagte angegeben, er sei während der Schüsse in gebückter Haltung von einem Haus zu einem anderen gelaufen und dabei von rechts getroffen worden. Im Zuge der Ermittlungen hatte der Beschuldigte aber auch davon gesprochen, gestanden zu sein. Laut Gutachter sei beides unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

Kurz vor Mittag wurden den Geschworenen noch einige IS-Propagandavideos vorgespielt, die teilweise auf Datenträgern des 17-jährigen Bruders gefunden wurden. Eines davon war ein deutscher Rap, in dem es hieß "Es gibt noch viel zu tun" und "es muss überall knallen" oder auch "wir feiern jedes Jahr 9/11". (APA, 22.3.2016)