Wolfsburg – Wegen der VW-Abgasaffäre sind in Deutschland inzwischen 76 Schadenersatzklagen von Investoren eingegangen. Das teilte eine Sprecherin des zuständigen Braunschweiger Landgerichts am Montag mit. Die meisten Forderungen stammen demnach von privaten Anlegern.

Es ist aber auch eine Sammelklage von 278 institutionellen Großinvestoren wie Pensionsfonds darunter. Sie allein hat einen Streitwert von 3,255 Milliarden Euro.

Der Anlegeranwalt Andreas Tilp kündigte in einem Interview weitere Schadenersatzklagen von institutionellen Investoren im Gesamtvolumen von sieben Milliarden Euro an. Er erwarte bis Ende der Verjährungsfrist im September, dass den Braunschweiger Richtern Klagen über zehn Milliarden Euro vorlägen, sagte Tilp dem "Tagesspiegel" vom Montag. "Ich bin zuversichtlich, dass es jetzt erst richtig losgeht."

Börsenkurs eingebrochen

Private und institutionelle Anleger hatten viel Geld verloren, weil der Börsenkurs der VW-Aktie durch den Abgasskandal einbrach. Die Kläger werfen dem Konzern Verstöße gegen Kapitalmarktrecht vor. Es geht um die Frage, ob VW die Märkte rechtzeitig informierte.

Neben Tilp kündigten weitere Anwälte zuletzt zusätzliche Klagen an. So teilten die Juristen Klaus Nieding und Daniel Vos vor einigen Tagen mit, rund 6.500 Privat- und Profiklagen mit einem Forderungsvolumen von 2,5 Milliarden Euro gesammelt zu haben.

Außer Anlegern gehen auch Autokäufer gegen den Konzern oder dessen Vertragshändler vor, weil sie sich beim Autokauf getäuscht fühlen. In einem deutschlandweit ersten Prozess dieser Art war ein Kunde vergangene Woche vor dem Landgericht Bochum gescheitert. Das Verfahren richtete sich allerdings gegen einen örtlichen Autohändler, nicht gegen VW.

Forderungen auch in den USA anhängig

Auch in den USA und anderen Ländern wie Österreich sieht sich das Unternehmen mit Zivilklagen von Autokäufern, Anlegern und Behörden in Milliardenhöhe konfrontiert. In den USA sind bereits hunderte Forderungen anhängig. Das US-Justizministerium reichte im Jänner im Auftrag der US-Umweltbehörde EPA eine Klage ein, die in einem Extremszenario nach Schätzungen zu Schadenersatzzahlungen von bis zu 90 Milliarden Euro führen könnte.

Volkswagen hatte vor genau einem halben Jahr – am 22. September 2015 – eingeräumt, weltweit in elf Millionen Dieselfahrzeugen eine Software eingesetzt zu haben, die offizielle Emissionstests manipuliert. Der Skandal stürzte den größten deutschen Autobauer in eine tiefe Krise.

Mangelnde staatliche Aufklärung

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) indes prangerte am Montag die mangelnde staatliche Aufklärung über auffällige Abgaswerte an. "Die Bundesregierung arbeitet ungeniert weiter in Kumpanei mit der Autoindustrie", kritisierte Verbands-Geschäftsführer Jürgen Resch in Berlin. Auch zu Messwerten und gefundenen Auffälligkeiten bei Nachprüfungen von mehr als 50 Modellen mehrerer Hersteller beim deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) würden Auskünfte verweigert.

Die Umwelthilfe berichtete von eigenen Informationen, wonach bei Bundesamt und Verkehrsministerium Anhörungsverfahren zur Vorbereitung einer behördlichen Entscheidung gegen Daimler, Opel und Volkswagen in diesem Zusammenhang liefen. Das deutsche Verkehrsministerium verwies erneut darauf, dass die Nachprüfungen noch nicht abgeschlossen seien. Vorwürfe mangelnder Aufklärung seien abwegig, sagte ein Sprecher.

"Die DUH bleibt sich treu, gewohnt unseriös", kommentierte Daimler-Sprecher Jörg Howe. "Und jetzt verwenden sie sogar Tests, die nicht zertifiziert sind." (APA, 21.3.2016)