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Tusk und Davutoglu am Brüssel Gipfel am Freitag.

Foto: REUTERS/Francois Lenoir

Um 16.54 Uhr meldete der Ständige Ratspräsident Donald Tusk via Twitter Vollzug: "Jetzt Einigung aller EU-Chefs mit dem türkischen Premier auf ein Abkommen." Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten kurz davor beim Sondergipfel zum Thema Migration nach überraschend kurzer Beratung Freitagnachmittag den umstrittenen Flüchtlings-Deal mit der Türkei gebilligt.

Er wird bereits Sonntag in Kraft treten. Kern des Pakts: Die Türkei verpflichtet sich, alle illegal auf den griechischen Inseln eingereisten Migranten im Wege eines Rückführungsabkommens mit Griechenland zurückzunehmen. Im Gegenzug nehmen die Europäer syrische Kriegsflüchtlinge auf, die sich in Lagern in der Türkei aufhalten. Der Austausch wird im Verhältnis eins zu eins vorgenommen werden. Jene Migranten, die abgeschoben werden, haben die Chance auf Asyl in Europa vorläufig verwirkt: Sie werden auf Wartelisten ganz nach unten gereiht.

Keine neue Migrationswelle

Das sofortige Inkrafttreten des Abkommens mit Sonntag ist insofern wichtig, als die EU-Spitzen damit verhindern wollen, dass in den kommenden Tagen eine neue Welle vom Migration losbricht. Ähnlich wie vor zehn Tagen, als die Balkanstaaten und Österreich die Route über den Balkan für geschlossen erklärten, heißt es nun: "Die Ägäisroute ist geschlossen."

Die Zahl der syrischen Flüchtlinge, die auf diesem Wege des Austauschs mit der Türkei regulär nach Europa kommen können, ist nicht unbegrenzt. In der Schlusserklärung des Gipfels heißt es, dass zunächst ein Kontingent von 18.000 Personen dafür zur Verfügung steht. Es ist seit vergangenen Sommer für die Neuansiedlung von Flüchtlingen vereinbart.

Wenn dieses Kontingent ausgeschöpft ist, soll ein Kontingent herangezogen werden, das für die geplante innereuropäische Umsiedlung aus Griechenland geplant war: Es umfasst 54.000 Plätze.

Maximal 72.000 Syrer

Wird die Zahl von 72.000 überschritten, dann endet der EU-Türkei-Pakt zur Rückführung. Dann soll eine freiwillige Übernahme von Syrern durch EU-Staaten kommen, wie genau, ist offen.

Das ganze Abkommen soll auch nur "vorübergehend und ausnahmsweise" gelten, heißt es. Es ist ausdrücklich vorgesehen, dass "pauschale Abschiebungen" nicht stattfinden dürfen. Alles müsse dem Völkerrecht entsprechen, Individualrechte auf Asyl müssten gewahrt sein. Um das zu leisten, müssen Griechenland und die Türkei erst Gesetzesanpassungen vornehmen. Laut Juncker müsse die EU den Griechen 4000 Beamte als Aushilfe schicken, die die Aktion abwickeln.

Die Einigung der 28 EU-Staaten kam nach stundenlangen Marathonverhandlungen. In der Nacht davor hatten die Regierungschefs zunächst nur die "gemeinsamen Linien" festgezurrt. Am Vormittag hatten EU-Ratspräsident Tusk, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie der amtierende Ratsvorsitzende und niederländische Premier Mark Rutte die Aufgabe übernommen, bilateral mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu alle Details zu verhandeln. Tusk empfahl anschließend den EU-Staats- und Regierungschefs die Annahme des Türkei-Deals. Mit dem Flüchtlingsdeal, den vor allem die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Juncker forciert hatte, bekommt die Türkei eine Reihe von Zugeständnissen, die Beziehung EU – Türkei wird erneuert.

So werden türkische Staatsbürger ab Ende Juni bei der Einreise in die Union Visafreiheit genießen, allerdings nur, wenn die Regierung in Ankara bis dahin alle nötigen Voraussetzungen erfüllt. Dazu müssen insgesamt 72 von der Kommission eingemahnte Kriterien erfüllt werden, vom sicheren Datenaustausch bis zur Einführung biometrischer Pässe.

Eine weitere Einigung gab es bezüglich der EU-Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei. Davutoglu wurde zugesagt, dass noch unter niederländischer Ratspräsidentschaft bis Ende Juni das Beitrittskapitel 33 (Finanzen und Haushalt) eröffnet wird. Weitere Kapitel sollen dann folgen, je nach Fortschritt und wenn im Juni eine Einigung in der Zypern-Frage erzielt ist.

Die zypriotische Regierung meldete Vorbehalte an. Derzeit laufen Verhandlungen über eine Wiedervereinigung der in einen griechischen und türkischen Teil geteilten Insel. Der türkische Premierminister Davutoglu betonte, dass alle diese Vereinbarungen eine wichtige strategische Bedeutung für sein Land hätten. (Thomas Mayer aus Brüssel, 19.3.2016)