Der Angeklagte beteuert, kein "IS-Anhänger" zu sein. Wenn die Vernehmung haarig wird, muss der Dolmetsch sprachlich nachhelfen

Illustration: Joseph Fitzgerald

Graz – Manchmal ist er knapp davor auseinanderzubrechen, alles aus ihm rauszulassen und auf den Tisch zu legen.

Doch dann denkt er wohl an seine Mutter, die vor dem Gerichtssaal auf ihre Zeugeneinvernahme wartet, an die Schwester, die hinten im Saal zuhört, und an den Bruder, der neben ihm auf der Anklagebank sitzt. Und dann schneidet er die Frage des Richters nach weiteren mutmaßlichen IS-Kämpfern abrupt ab: "Ich hab Angst um meine Familie, ich werde dazu nichts sagen."

Seit Montag sitzt das Brüderpaar, zwei Österreicher mit türkischen Wurzeln, im nunmehr vierten der "Jihadistenprozesse" vor dem Grazer Richter. Den beiden wird das Verbrechen der terroristischen Vereinigung und der kriminellen Organisation in Zusammenhang mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) vorgeworfen. Der Ältere muss sich zudem wegen Mordversuchs in Syrien verantworten.

"Konkrete Angst"

In diesen Momenten, wenn er wankt und bereut, in Syrien gewesen zu sein und sich der radikalen Szene angeschlossen zu haben, bohrt der Staatsanwalt nach. Er liest ihm abermals etliche Namen vor, er spielt ihm Sequenzen aus Handyvideos mit jungen Männern in IS-Shirts, die es in heimischen Moscheen zu kaufen gibt, vor: Aber der Angeklagte, der zuletzt in Wien lebte, macht sofort wieder dicht. "Über diese Personen möchte ich keine Angaben machen, ich habe Angst um meine Familie", blockt der 23 Jahre alte Syrien-Rückkehrer erneut ab.

Der Richter: "Haben Sie eine ganz konkrete Angst?"

Der Angeklagte: "Ja, eine sehr konkrete."

Es ist in der Folge von einem Mann die Rede, der derzeit in Deutschland in Haft sei. "Der ist wirklich gefährlich", sagt der Staatsanwalt. Es gehe aber auch um Bedrohungen in Österreich. Der Ankläger drängt den Angeklagten: "Schicken Sie mir Ihre Angaben, dann kann ich gegen sie vorgehen und sie verhaften lassen. Wir kennen sie, sie laufen noch immer frei herum in Österreich und Deutschland. Schreiben Sie mir, dann kann ich einen Haftbefehl erwirken, damit wir gegen die Wiener und Linzer Partien vorgehen können. Es ist ohnehin schon fast zu spät."

"Ja, es gibt Radikale"

Und wieder: Für einen kurzen Moment macht es den Eindruck, dass sich der Angeklagte, der seit 2014 in Haft sitzt, jetzt doch von der Last der Vergangenheit erlösen will, aber schließlich flüstert er ins Mikrofon: "Aber was ist, wenn die wieder herauskommen?"

Und noch eine andere Angst geht in ihm um: "Ich habe ganz einfach Angst, dass ich zehn Jahre bekomme." Er wolle ja ohnehin mit der alten Umgebung keinen Kontakt mehr haben, "es tut mir leid, was ich getan habe, ich will mit dem Ganzen nichts mehr zu tun haben". "Ich schwöre einen Eid, wenn ich herauskomme, werde ich das ganze Umfeld verlassen", beteuerte der junge Wiener. Er wolle nur noch so viel sagen: "Ja, es gibt Radikale in den österreichischen Moscheen". Er hat, wie er sagte, viele davon besucht.

Und damit ist der kurze Befreiungsversuch aus dem Gefängnis seiner Erinnerungen an die radikale Szene in den österreichischen Moscheen und den Syrien-Krieg auch schon wieder vorbei, und die Aussagen werden wieder verworrener, der Knäuel immer dicker, in den er sich verstrickt. Vieles, was er bisher gesagt habe, sei von ihm eigentlich erfunden worden. Er habe sich unter Druck gefühlt. Die Polizisten seien im Verhör maskiert gewesen und hätten ständig ihre Hand an der Waffe gehalten. Er sei verunsichert gewesen und habe alles unterschrieben. Nicht außer Streit stellt er, dass er in Syrien war, jedoch nur in der hinteren Reihe als Sanitäter. "Aber mit einer Kalaschnikow", hält ihm der Richter vor. Und wer habe ihn verleitet, nach Syrien zu fahren, ein Prediger? Der Angeklagte wiederholt: "Über diese Person will ich keine Auskunft geben. Ich habe Angst." (Walter Müller, 19.3.2016)