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Millionen Kinder in Indien fallen um ihre Schulausbildung um (Symbolbild).

Foto: AP/Sucheta Das

Neu-Delhi / Dubai – Selbst für indische Verhältnisse war der Fall rekordreif: Sage und schreibe 23 Jahre kam die Biologielehrerin Sangeeta Kashyap aus Madhya Pradesh nicht zur Arbeit und blockierte die Planstelle, bevor sich die Schulbehörde aufraffte, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Als junge Lehrerin hatte sie sich in den Mutterschaftsurlaub abgemeldet und war seitdem einfach nicht mehr aufgetaucht. Man wisse nicht, ob sie all die Jahre Gehalt bezogen habe, wanden sich die Aufsichtsbeamten.

Die Geschichte, die 2014 für Schlagzeilen sorgte, ist keine Ausnahme. Eine Kollegin an der gleichen Schule blieb dem Unterricht zehn Jahre fern, angeblich um ihre Doktorarbeit zu schreiben. Zu Hunderttausenden schwänzen Indiens Lehrer den Unterricht. Besonders schlimm ist der Schlendrian an staatlichen Schulen. In den Städten geht schon jedes zweite Kind auf eine Privatschule statt auf eine kostenfreie Staatsschule. Auf dem Land fehlt es dagegen oft an Alternativen oder am Geld.

Lehrer gesucht

200 Millionen Kinder in Indien brauchen eine Schulausbildung. Doch in manchen Dörfern gibt es Tage, da kommen die Schüler in die Schule – und kein einziger Lehrer ist da. Weil der Unterricht ausfällt, werden Millionen ärmerer Kinder um eine anständige Bildung betrogen. Fast jeder dritte Inder kann nicht lesen und schreiben.

Nach einer Studie des Wirtschaftsprofessors Karthik Muralidharan von der Universität von Kalifornien fehlen auf dem Land jeden Tag fast 24 Prozent der staatlichen Lehrer. In manchen Regionen sind es sogar 46 Prozent. Selbst anwesende Lehrer unterrichten nicht unbedingt: Die Hälfte von ihnen macht lieber ganz andere Dinge.

Seit Jahrzehnten müht sich Indien, dem Problem beizukommen. An schlechter Bezahlung scheint es nicht zu liegen. So gehen besser bezahlte Lehrer oft noch mit schlechtem Beispiel voran. "Ältere Lehrer und Schulleiter bekommen mehr Geld, sind aber häufiger abwesend", heißt es in der Studie. Viele bekommen ihre Stelle durch Beziehungen oder Bestechung. Und sie werden von mächtigen Gewerkschaften geschützt, mit denen sich die Regierenden ungern anlegen. Einmal eingestellt, sind sie kaum mehr zu feuern.

Mehr Kontrolle notwendig

Auch eine bessere Infrastruktur scheint wenig zu ändern. Die Zahl der Schulen mit Strom, fließend Wasser, Toiletten und Straßenanschluss ist seit 2003 deutlich gestiegen, während sich die Klassengröße verringerte. Aber die Fehlraten senkte das kaum. Laut Studie braucht es vor allem mehr Kontrolle, um den Lehrkörper zu disziplinieren.

Wie das geht, zeigt der Beamte Manoj Mishra aus dem Bezirk Deoria in Uttar Pradesh. Er prüfe nicht nur die Anwesenheit, sondern versetze Wiederholungstäter oder kürzte ihnen das Gehalt, berichtete die "New York Times". Damit hat er die Fehlraten in seinem Bezirk binnen weniger Monate von 40 auf zehn Prozent gesenkt.

Dafür lebt Mishra aber nun gefährlich. Zwar feiern Eltern ihn wie einen Volkshelden, doch wütende Lehrer bedrohen ihn. Inzwischen musste er sich laut Zeitung zum Schutz sogar eine Pistole zulegen. (Christine Möllhoff, 21.3.2016)