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Während dieser Tage in Leipzig die Neuerscheinungen des Frühjahrs vorgestellt werden, wandern andernorts gebrauchte Bücher auf Flohmarkttische.

Foto: Corbis / Eric Nathan
Foto: Alexander Janetzko

David Wagner
Es werden immer mehr

Sie stapeln sich, sie liegen herum. Sie stehen in Doppelreihe im Regal, türmen sich auf dem Boden, auf Heizkörpern, neben dem Bett, vor dem Sofa, auf dem zweiten Tisch in der Küche. Bücher überall in der Wohnung, dabei bin ich nicht einmal ein Sammler. Sie kommen einfach so. Sie werden bestellt, geschickt, mir geschenkt, gekauft. Es werden immer mehr. Ich erinnere mich an eine Zeit zu Anfang meines Studiums, ich war bücherdurstig, büchergierig und wollte sehr viele Bücher besitzen. Hatte einer meiner Professoren nicht von seinen 144 Regalmetern gesprochen? Eine meiner frühen Wohnungen wollte ich eben nicht mit Regalen vollstellen, Regale passten nicht zu meinem minimalistischen Möblierungskonzept. Die Büchertürme, die an den rauen Putzwänden hinaufwuchsen, fielen immer wieder um. War auch unpraktisch. Heute gibt es Regale, aber sie sind voll – für jedes Buch, das neu kommt, müsste eigentlich eines verschwinden. So handhabt es angeblich Hans Magnus Enzensberger. Ja, für jedes neue müsste ein altes gehen – nur welches? Eines, das seit Jahren, Jahrzehnten nur herumsteht und noch immer nicht gelesen wurde? Halt, Einwand, eines Tages könnte ich mich doch dafür interessieren. Soll ich Bücher ausmisten, deren Autoren ich unhöflich, unsympathisch oder bescheuert finde? Und wenn ihre Bücher doch gut sind? Und blieben mir dann überhaupt noch Bücher? Oder soll ich die aussortieren, die ich gelesen habe und sicherlich nie wieder lesen werde? Könnte ich nicht ein zweibändiges Personenlexikon aus dem Jahr 1983, benutzt während der Schulzeit, ins Altpapier geben? Habe ich damals nicht sogar einige Bilder von Komponisten (Schubert, Liszt) aus dem Buch herausgeschnitten (Sakrileg!), weil ich sie für eine Schullaufgabe brauchte? Nein, ich möchte es lieber doch behalten ...

In den letzten Jahren wurde es beinah zum Statussymbol, keine Papierbücher mehr zu besitzen und nur noch digital zu lesen. Kathrin Passig fing damit an, beschrieb vor einigen Jahren im Merkur, wie sie alle ihre gedruckten Bücher loswurde. In der Folge entstand ein neues journalistisches Genre: Die Erzählung von der Auflösung der eigenen Bibliothek, zuletzt Michael Allmaier in der Zeit. Und, ach, große Überraschung: Seine Bücher zu verkaufen bringt nichts ein! Wer hätte das gedacht.

Gerne gebe ich es zu: Ich bin noch nicht so weit. Und außerdem bin ich sentimental und erinnere mich bei fast allen Büchern, die ich besitze, wann ich sie wo und mit wem zusammen gekauft habe. Und in welchem Zug, an welchem Strand, in welchem Hotelbett ich sie neben wem gelesen habe. Daran erinnere ich mich eigentlich ganz gerne. Trotzdem, manchmal träume auch ich wieder von einer neuen leeren Wohnung ohne ein einziges Buch. Und was würde ich dort anfangen? Wahrscheinlich würde ich versuchen, eines zu schreiben.

David Wagner, geb. 1971, ist ein Berliner Schriftsteller. 2013 gewann er den Leipziger Buchpreis. Gerade erscheinen seine Essays "Sich verlieben hilft" (Verbrecher-Verlag, 2016).

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Foto: APA/Gert Eggenberger

Teresa Präauer
Bleibt! Bleibt! Bleibt!

Statt zu putzen und auszumisten lese ich im Frühling lieber Bücher. Zum Beispiel Lenz von Büchner. Weil der Staub trotzdem irgendwie rausmuss, lese ich noch Miss Dust der australischen Dichterin Johanna Aitchison. Nicht nur der Staub muss raus, auch die Spinnen, nämlich die vom Burkhard. Und nicht nur die, auch der ganze Kleinscheiß. Also muss der Kleine Prinz daran glauben, Entschuldigung. Groß denken ab dem neuen Frühjahr, groß denken mit dem Großen Gatsby zum Beispiel!

Nicht nur der Staub muss weg, auch der Schimmel muss weg, deshalb vielleicht Handke trockenlegen und seinen Versuch über den Pilznarren? Nein, Handke bleibt, der ist in meinem Haushalt, nur vier Kilometer entfernt vom Bachmann'schen Ungargassenland, nämlich sakrosankt wie eine Kathedrale meiner Freundin Satu Taskinen.

Der Pilz muss raus, der Pilz muss raus. Es braucht also Ersatz für den Pilznarren, den Schimmelreiter von Theodor Storm? Nee. Muss bleiben. Wie die Fernsehkritiker gerne sagen: "Bleibt, bleibt nicht. Bleibt, bleibt nicht." Gut, der Schimmelpilz bleibt und zerfällt mir modrig im Mund. Ich spüle nach mit Bier für Frauen von Felicia Zeller. Danach muss ich was fürs Raumklima tun: Die Atemschaukel von Herta Müller. Frische Fleurs auf den Tisch von Friederike Mayröcker.

Ich bin mir nicht zu schade

Dazu einen Gast, der nicht ständig quatscht wie der Hochstapler Felix Krull von Thomas Mann, sondern einer wie Jakob, denn Jakob schläft ja meistens, geschrieben von Klaus Merz. Seit die Tage wieder länger werden, gehe ich regelmäßig laufen, Murakami ist trotzdem noch nicht bei mir eingezogen, ich hege aus Stolz ein Vorurteil gegen ihn, sicher zu unrecht. Jane Austen kenne ich, zu meiner Schande von Coetzee, allerdings nur aus dem TV. Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen kaputtgemacht worden sind, wie wahr, ihr zwei.

Und ich bin mir auch nicht zu schade für Helmut Berger, er ist lustig, arrogant und ohnehin vergriffen, und bei allem Ausmisten muss ich freilich darauf achten, mich selbst nicht wegzuhoovern, daher bleibt auch Helmuts Autobiografie, und damit Ich. Bleibt, bleibt, bleibt!

Teresa Präauer war 2015 mit "Johnny und Jean" für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Am 17. 3. wurde ihre Installation "STARS" im Linzer Lentos eröffnet.

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Foto: Katharina Fröschl-Roßboth

Wolfgang Pennwieser
Meine Bücher verbrennende Oma

Meine Oma hat ihre Bücher verbrannt. Es war kein politischer Protest. Sie steckte alles Mögliche in ihren großen Holzofen. Nicht nur Bücher, auch leere Medikamentenblister, Plastiksackerl und Milchpackerl. Es ist schade um den Platz und das Papier, hätte sie gesagt. Bücher zu behalten und im Regal aufzustellen kam ihr absurd vor. Obgleich sie ab und zu las, stand in ihrem Wohnzimmer die meiste Zeit keines und wenn, nur ein Buch im Regal. Nämlich meines. In meiner Welt sind volle Bücherregale selbstverständlich. Bücher wegzuschmeißen oder gar zu verbrennen ist böse. So der gängige Konsens. Eine andere Meinung hab ich bei Menschen, die ich mag, noch nicht angetroffen.

Meine Oma war anders, sie brauchte Bücher nicht. Sie war dennoch klug. Meine Oma war für mich lange Zeit die gescheiteste Frau der Welt. Sie wusste, wo der Osterhase sein Versteck haben könnte und kochte herrliche Rindsrouladen. Kochbuch hatte sie auch keines. Die fehlenden Bücher fielen mir erst auf, als ich erwachsen und sie schon sehr alt war. Inzwischen ist sie seit einigen Jahren tot.

Als der Möbelpacker neulich meinte: "Dreimal übersiedeln ist wie einmal abbrennen", musste ich wieder an meine Bücher verbrennende Oma denken. Kurz zuvor sagte ich zu ihm, dass ich dieses Mal versucht habe, so viele Bücher wie möglich auszusortieren. Es war keine Erklärung, sondern eine Entschuldigung. Und gelogen obendrein.

Natürlicher Schwund

Bücher weggeben kann ich nicht. Mit der Notlüge versuchte ich mein Gewissen zu beruhigen, denn während mein Möbelpacker immer noch und schier unermüdlich die schweren Bücherkartons in die neue Wohnung trug, griff ich nach Schirmständern und anderem Kleinzeug. Meine muskuläre Kraftlosigkeit ist wohl dem Lesen und der damit einhergehenden Bewegungslosigkeit geschuldet. Ich habe manchmal versucht, Bücher auszumisten. Meine Bibliothek gesichtet und die Wegwerfkandidaten auf einem Stapel in der Nähe der Wohnungstür gesammelt. Sie sind dennoch nie im Altpapier gelandet. Einzig und allein dem Umstand, dass ich sehr langsam lese, ist es zu verdanken, dass sich im Lauf der Zeit nicht noch mehr angehäuft hat. Zudem gibt es in meiner Bibliothek einen natürlichen Schwund. Es ist mir nämlich gleichgültig, verborgte Bücher nicht wieder zurückzubekommen. Sie werden es schon gut haben am neuen Platz.

Ich hätte meiner Oma gerne erzählt, wie viel Vergnügen es erzeugt, wenn man seine Bücherregale in Kisten verpackt und dabei jedes Buch wieder in die Hand nehmen und durchblättern darf, bevor man es einpackt. Wie schnell dabei ein Abend vergeht und wie sentimental man wird, wenn man Sätze wiederentdeckt, die man vor zwanzig Jahren markiert und geliebt hat. Da diese Möglichkeit in jedem meiner Bücher steckt, kann ich keines wegwerfen. Bei mir ist dreimal übersiedeln eher so wie seine alten Bücher noch einmal lesen, wollte ich dem Möbelpacker sagen. Meine Oma hätte mich verstanden, aber dennoch die eigenen Bücher weiterhin in den Ofen geschoben. Sie ist in ihrem Leben nie übersiedelt.

Wolfgang Pennwieser, geb. 1974, ist Psychiater, Kolumnist und Autor in Wien. Gerade erscheint von ihm sein neues Buch "Ich und Vater" (Czernin- Verlag, 2016).

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Foto: Jürgen Bauer / SZ-Photo / picturedesk.com

Andreas Maier
Punkt drei, keine Taktik

Bücher weggeben (von -werfen will ich gar nicht reden) widerstrebt mir. Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Verringerung von Bücherbergen. Ich habe immer zwei Taktiken benutzt. Zum einen: Ich habe das, was mir zugesendet wurde, so selten gelesen, noch seltener einen Kommentar dazu abgegeben, dass die meisten, Verlage oder Personen, irgendwann aufgehört haben, mir Bücher zu schicken.

Zum anderen habe ich immer ziemlich streng unterschieden zwischen jenen Regalen in dem Zimmer, das ich als Bibliothek oder Bücherzimmer bezeichnen würde (es war über die Jahre immer wieder ein anderes Zimmer, geschuldet den häufigen Umzügen) und jenen anderen Regalen in anderen Zimmern, in denen die diversen zugesandten Bücher erst einmal abgelegt wurden. Sie müssen ja irgendwohin, kaum haben sie irgendwie die Schwelle der Wohnung passiert.

Gelesen habe ich übrigens nur die Vielzahl jener Bücher nicht, von denen ich im ersten Augenblick schon wusste, dass ich sie sowieso nie lesen würde. Nicht aus Abneigung, aber weil gewisse Dinge einfach nichts für mich sind und mir nichts bringen, und den Büchern bringt es auch nichts, wenn ich sie lese. Daher zum dritten Punkt, der aber keine Taktik ist. Ich habe schon immer nach einem bestimmten, mir allerdings überhaupt nicht klaren Prinzip gelesen.

Bücher bedrohen mich nicht

Eigentlich arbeitet mein Unter- oder Vorbewusstsein schon seit etwa dreiunddreißig Jahren an einer inneren Leseliste. Mein Unter- oder Vorbewusstsein legt mir diese Leseliste zwar nie komplett vor, aber immer, wenn ein Buch auf mich zukommt, weiß ich doch automatisch, ob der betreffende Autor (ich vergaß zu sagen: ich lese Autoren und keine Bücher) auf der Leseliste steht oder nicht oder ob er in diesem Moment auf die Liste genommen wird. Nicht von mir, sondern von diesem kasuistischen, egomanischen, allerdings auch auf eine gewisse Schlankheit bedachten Untervorbewusstsein. Weil es auf Schlankheit bedacht ist und mich nicht durch eine Unzahl von Möglichkeiten erschrecken will, zeigt mir dieses seltsame Halbbewusstsein wahrscheinlich diese Liste nie ganz. Sie ist nämlich so groß, dass ich sie sowieso nie abarbeiten könnte. Deshalb habe ich glücklicherweise auch nie irgendeinen Lesedruck. Bücher bedrohen mich nicht.

Vor etwa fünf Jahren habe ich einmal ein Großreine- oder Schlankmachen gemacht. Ich nahm alle Bücher, die nicht im Bücherzimmer waren, steckte sie in Kisten und rief ein Antiquariat an. Sie holten diese Kisten ab, allerdings habe ich bis heute nie einen Pfennig dafür gesehen und weiß auch gar nicht mehr, wie dieses Antiquariat hieß. Die wenigen Bücher, die ich heute überhaupt noch bekomme, sind mir alle lieb und teuer. Jedes Mal, wenn mir etwa Matthes & Seitz einen Band Jean-Henri Fabre schickt, kommt er sofort auf den Lesetisch und dann in die Bibliothek. Allerdings habe ich schon seit einem Jahr keinen mehr bekommen.

Andreas Maier, geb. 1967 in Bad Nauheim, ist Schriftsteller und lebt in Hamburg. 2015 erschien von ihm "Mein Jahr ohne Udo Jürgens" im Suhrkamp-Verlag.

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Foto: Corn

Andrea Dusl
Sie hassen mich jetzt in Unterberglberg

Am Anfang war das Wort. Und das Wort stand im Buch. Bücher sind der Schatz der Welt, lernen wir, das Wissen, die Erkenntnis, der Geist. Büchern bauen wir Tempel und Tresore, Bücher lenken das Glück unserer Welt, leuchten in unser Dasein und in das Unbekannte dahinter. Bücher sind alles. Sie sind überall. Auch bei mir daheim. Nicht eines, nicht zwei. Viele. Als westlicher Buchmensch habe ich den Kahn der Erkenntnisgier ungekentert durch den Silbersee gesteuert, las mehr als Buch und Zweitbuch, besitze eine, ja das Wort ist Krawall, Bibliothek. Sie wollte den Rand des Nachtkästchens niemals verlassen, aber sie tat es, ergoss sich in Regale, füllte Räume. Das Dilemma hieß mich willkommen.

Räuberromane und Fadgasführer

Darf man Bücher wieder loswerden? Es besteht weitgehend Einigkeit über die barbarischen Aspekte von Bücherverbrennungen. Aber dürfen wir Bücher, egal, wie sie zu uns gekommen sind, sei es durch Kauf, Tausch, Diebstahl oder Schenkung, wieder loswerden? Dürfen wir Unlesbares verstoßen, Lähmendes weggeben, Schlechtes weg ...? Dürfen wir es überhaupt aussprechen? Dürfen wir Bücher wegschmeißen? Faulstellenlose? Kurz angelesene? Frisch hereingetrudelte?

Nein, sagt die bibliothekarische Krämerseele in mir. Nicht ohne Schande und Scham, nicht ohne schlechtes Gewissen, nicht ohne dessen verhängnisvollen Biss. Bücher haben gehortet zu werden, sagt der gutenberggalaktische Weltgeist in mir. So weit die Moral. Bin ich allein? Ich bin nicht allein. Flohmärkte und Leihbibliotheken, Book-Crossing-Projekte und Romanauswilderungen sind die schmutzigen Ufer der Bücherflut. Denn selbstverständlich werden Bücher orphaniert. Neuen Besitzern aufgedrängt. Mitgebringselte wie selbsterstandene. Um die Bücherzirkulation muss sich die westliche Welt keine Sorgen machen.

"Vorsicht, schlecht!"

Erst stellte ich sie in die zweite Reihe. Hinter die guten Bücher. Hinter das Herzeigbare, das Griffbereite, das Gerngelesene, das Wiedergelesene. Bei jedem Umzug fielen sie mir entgegen. Die schlechten Schinken, die Räuberromane, die Fadgasführer, die Beratungsbelletristik. Manche waren unter der Staubschicht noch in Plastik verschweißt. Ich schichtete sie in separate Umzugskisten. Schrieb "Vorsicht, schlecht!" darauf, oder "Unwichtiges", hoffte, sie würden vom Zufall geholt werden, vom Laster fallen, von Dummköpfen gestohlen werden. Vergebens. Die bösen Bücher blieben. Ich brachte sie kistenweise in unterentwickelte Gegenden. In die Oststeiermark. In der Gemeindebibliothek von Unterberglberg rümpfte man die Nase. Coffeetableklassiker seien das, wertvoll, lehrreich, wertvoll, log ich. Das Buch über die Aale des Amazonas. Das Kümmel-Kochbuch, der Wanderführer der Westwalachei. Die Romane Frischverblühter, die Gedichte Unentdeckter, leidbringende Lebensberater. Die Werke von Freunden. Kiloweise. Ich tauschte mein Glück gegen den Unmut und die staubigen Finger der Gemeindesekretärin. Sie hassen mich jetzt in Unterberglberg. Ich finde, zu Recht.

Andrea Maria Dusl, ist Autorin und Zeichnerin und lehrt an der Universität für angewandte Kunst. Eben erschien von ihr "So geht Wien" (Metroverlag, 2016).

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Foto: Lukas Beck

Martin Prinz
Bananenschachteln auf dem Garagendach meiner Eltern

Vor einigen Jahren bin ich mit meiner Frau in einem Haus gelandet, in dem zu wenig Platz für meine Bücher ist. Das Haus liegt versteckt und ist so klein, dass die bis dahin in meinen Wohnungen angewachsenen Bücherreihen alles ausgefüllt hätten. An seinem Feuermauerrücken ziehen die Züge Richtung Westbahnhof vorbei und in dem winzigen, südseitigen Garten täuschen Rosen, Weinlaube, Quitten- und Birnbaum beinahe Weite vor. Für jedes neu hinzukommende Buch muss hier jedoch stets eine passende Stelle gefunden werden.

Die wenigen Regale sind längst in Zweierreihen gefüllt, ringsum wachsen die Stapel. Dabei kommt mir ohnedies vor, ich läse viel zu wenig. Eigentlich habe ich dieses Gefühl seit meinen ersten, blindlings nach Büchern süchtigen Lebensjahren. In der Vollständigkeit des damaligen Eintauchens tauchten neben dem gerade offenen Buch kaum Gedanken an andere Bücher auf.

Unersättliche Sehnsüchte

Heute erinnert mich jedes neue Buch verlässlich daran, wie viele noch warten. Manche mit Namen, die meisten namenlos, Ahnungen gleich, als undeutliche Wünsche wie unersättliche Sehnsüchte: jedes gelesene Buch die Unmenge der unlesbaren nur noch verdeutlichend. Dann denke ich in meinem kleinen Haus an die auf dem Garagendach meiner Eltern in Bananenschachteln lagernde Büchersammlung, die ich früher im Stillen gern großspurig Bibliothek nannte. Und sehe die Bücher, die gelesenen wie die ungelesenen – vor allem jedoch die besonders dicken, wie sie gerade wieder in Mode kommen – mit der Erleichterung dessen an, der langsam dahinterkommt, um wie viel besser sie bleiben: als Lücke, Geheimnis, Vergessen oder Schlaf.

Martin Prinz ist Schriftsteller. Am 18. Mai wird sein Film "Von Männern und Vätern" (3sat) gesendet, im August erscheint der Roman "Die unmögliche Kaiserin" (Insel Verlag).

(Album, 19.3.2016)