Hereinspaziert in die Hofburg! Wüsste man nicht, dass er der Präsident ist – angesichts dieser Szene könnte man auch auf die Idee kommen, dass die Frau im Bild die Hausherrin ist und er ihr Begleiter. Noch aber ist Heinz Fischer das Staatsoberhaupt. Beim Tag der offenen Tür am 26. Oktober 2015 begrüßte traditionell auch seine Frau Margit die Gäste.

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Ludovica Hainisch-Marchet (1901–1993), Pädagogin und Frauenrechtlerin, war die erste Frau, die in Österreich 1951 für die Bundespräsidentschaftswahl kandidierte.

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Eine Frau – unabhängig noch dazu – kandidiert für das höchste Amt im Staat! Das ist doch mal eine Neuigkeit, oder? Aber kann die das auch? Können Frauen überhaupt "Präsident"? Vor 65 Jahren war es jedenfalls sogar dem deutschen Nachrichtenmagazin "Spiegel" eine Meldung wert, was im Nachbarland so vor sich ging: Ludovica Hainisch-Marchet, damals 50, wollte Bundespräsidentin werden und nahm es 1951 mit fünf männlichen Konkurrenten auf. Der "Spiegel" erkannte darin eine gewisse Logik, vermerkte er doch: "Österreich hat mehr weibliche als männliche Einwohner."

Lustig und leicht war's für Hainisch-Marchet, eine Pädagogin und Frauenrechtlerin, die auch weltweit die erste Frau war, die diesen Schritt in Richtung Präsidentenamt per Volkswahl wagte, aber nicht: "Die Presse schweigt sie tot oder tut sie als 'unzeitgemäße Lysistrata' ab", berichtete der "Spiegel". Die "Heeresauflöserin" von Aristophanes gefiel einigen Kommentatoren offenbar deswegen als Kritikmetapher, weil Hainisch-Marchet sechs Jahre nach Kriegsende unter dem Motto "Männer haben Kriege verloren, Frauen müssen den Frieden gewinnen" kandidierte.

Verlacht und diffamiert

Was passierte dann? "Sie wird verlacht, diffamiert, wahrscheinlich um Stimmen betrogen und erzielt nur 2.132 Stimmen", ist in "Biografia", einer biografischen Datenbank beziehungsweise einem Lexikon österreichischer Frauen, das vom Wiener Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK) seit 1998 stetig weiterentwickelt wird, nachzulesen: "Auch die Frauen, auf deren Solidarität sie gebaut hatte, wählen lieber einen Mann."

Das mussten sie notgedrungen auch bei den nächsten sechs Präsidentschaftswahlen, die reine Männersache waren.

1986 stieg dann die zweite Frau ins Rennen um die Hofburg ein – quasi eine Schwester im Geiste von Hainisch-Marchet. Und so ist auch ein Besuch der Grünen Präsidentschaftsanwärterin Freda Meissner-Blau bei ihrer Vorgängerin dokumentiert, hatte die sich doch auch unter anderem besonders für den Schutz der Umwelt eingesetzt. Meissner-Blau konnte 5,5 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang erringen.

Eine Zweifachkandidatin

Heide Schmidt trat 1992 für die FPÖ (16,4 Prozent) an, sechs Jahre später (neben der unabhängigen Gertraud Knoll, auf die 13,6 Prozent der Stimmen entfielen) für das Liberale Forum (11,1 Prozent). Am nächsten kam dem höchsten Staatsamt ÖVP-Kandidatin Benita Ferrero-Waldner, die 2004 gegen Heinz Fischer mit 47,6 Prozent unterlag.

2010 spielte bei Fischers Wiederwahl zwar die ÖVP nicht mehr mit – das brachte ihm fast vier Fünftel aller gültigen Stimmen ein (79,3 Prozent), vom Rest holte sich Barbara Rosenkranz für die Freiheitlichen den größten Anteil (15,2 Prozent), für den Dritten im Wahlkampfbunde, Rudolf Gehring von der Christlichen Partei Österreichs (CPÖ), blieben noch 5,4 Prozent.

Herr Präsident mit Gattin

Bis jetzt war die Hofburg also ein politisches Soziotop, in dem Frauen höchstens als "die Gattin von" ein Büro beziehen konnten, um möglichst "Gutes" zu tun. Nun will es mit der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Hypo-Sumpf-Aufklärerin Irmgard Griss wieder eine Frau wissen und in die Hofburg einziehen. Unabhängig, ohne eine finanzkräftige Parteiorganisation im Rücken. Und vielleicht ist das Faktum, dass es in diesem Land auch ohne Partei möglich sein sollte, Politik zu machen oder Präsidentin zu sein, von noch größerer Tragweite für die politische Kultur in Österreich als das Faktum, dass mit Griss die erste Frau in die Hofburg einziehen würde.

Doch halt, nein, es hat natürlich eine Bedeutung, wenn jetzt zum ersten Mal eine Frau "Bundespräsident" der Republik Österreich würde. Es würde alte Erwartungen über den Haufen werfen, gewohnte Bilder irritieren, es wäre eine politische Neuaufstellung, die hohen symbolischen Wert hätte.

Ein Afroamerikaner im Weißen Haus

So wie es unbestritten eine große Bedeutung hatte, dass mit Barack Obama der erste Afroamerikaner ins Weiße Haus einzog. Auch Schwarze (Männer) können Präsident der Vereinigten Staaten werden! Die Wirkung solcher Bilder auf bestimmte gesellschaftliche, oft marginalisierte Gruppen darf nicht unterschätzt werden. Mit Hillary Clinton könnte nun das nächste, fast ehern wirkende Politikprinzip in den USA zerbrochen werden: Auch Frauen können Präsidentin werden.

Oder, mit Blick nach Deutschland: Natürlich macht das etwas mit den Beobachterinnen und Beobachtern der Politik, den Bürgerinnen und Bürgern, wenn seit einem Jahrzehnt eine Frau im Kanzleramt regiert. Wenn im Regierungskabinett eine Frau das letzte Wort hat. Naturgemäß wirken solche neuen "Politikbilder" vor allem auf jene, die nicht schon jahrzehntelang die immergleichen politischen Nominierungsrituale vorgesetzt bekommen, die Männer quasi naturgemäß in die höchsten Ämter schwimmen ließen.

Mami, können Männer auch Kanzlerin werden?

In der Bundesrepublik wächst nun eine Generation Zehnjähriger heran, die in ihrem Leben ausschließlich eine Bundeskanzlerin erlebt hat. Nicht ohne Grund geistert im Nachbarland die Kinderfrage herum: "Mami, können Männer auch Bundeskanzlerin werden?"

Ja, können sie. Keine Bange. Und mit großer Wahrscheinlichkeit wird dieses heute zehnjährige Kind den Realitätsbeweis früher oder später auch erleben. Und das ist auch gut so. So wie es gut ist, dass es mit der "Normalität" einer Kanzlerin aufwächst.

Und genauso wäre es, wenn in Österreich plötzlich eine Bundespräsidentin angelobt werden würde, wenn die alteingefahrenen Muster – Herr Präsident tritt mit Gattin am Arm auf – gebrochen würden, wenn dann ganz selbstverständlich eine Präsidentin in der Hofburg amtieren würde und bei öffentlichen Auftritten dann eben ihr Mann neben ihr steht und nicht im Mittelpunkt.

Kein Muss, aber eine Wahl

Es geht auch nicht darum, ob eine Frau das Amt anders "anlegen" würde als die Männer vor ihr. Es geht auch nicht darum, ob sie eine andere, "weiblichere" Politik machen würde. Was sollte das denn überhaupt sein? Das ist schon eine klischeetrunkene Zuschreibung, die politisches Handeln von Frauen geschlechtsspezifisch einengt und unzulässig klassifiziert.

Bleibt noch die immer wieder gestellte Frage, wenn eine Frau in irgendeiner noch immer ungewohnten Position auftaucht und um eine politische Spitzenfunktion kämpft: Müssen Frauen diese Frau wählen? Weil sie eine Frau ist? Damit auch einmal eine Frau drankommt? Benita Ferrero-Waldner hatte sich 2004 nach ihrer Niederlage ja beschwert: "Natürlich haben die Emanzen geschadet, bewusst vor allem die linken Emanzen."

Müssen Frauen – linke, rechte, mittige, unabhängige, rote, schwarze, blaue, grüne, pinke, gelbe oder was auch immer – also die Frau auf dem Wahlzettel wählen?

Die Antwort ist simpel: Nein, müssen sie nicht. Aber es ist gut, wenn sie es könnten. Wenn sie die Wahl hätten. Sie sollten aber auch keine Männer wählen müssen, weil nur Männer zur Wahl stehen. (Lisa Nimmervoll, 19.3.2016)